Akte X
leicht benommen wirkend, aber ansonsten kerngesund, fuhr Scully fast in den Straßengraben.
Vader bellte und beschnupperte den Jungen, sabberte ihn voll und begrub ihn fast unter sich, überglücklich, daß sich Jody wieder erholt hatte.
Scully trat auf die Bremse. Der Wagen rutschte über den weichen Boden am Straßenrand und kam vor einem unbeschilderten Waldweg zum Stehen.
»Jody!« rief sie. »Du bist gesund.«
»Ich habe Hunger«, sagte er und rieb sich die Augen. Er sah sich auf dem Rücksitz um. Sein Hemd war immer noch aufgeknöpft, und obwohl seine Haut von getrocknetem Blut bedeckt war, konnte sie erkennen, daß sich die Wunde geschlossen hatte.
Sie stieß die Tür auf und stürzte nach hinten, wobei sie die Fahrertür offen ließ. Ein mahnender Glockenton erinnerte sie daran, daß sie die Schlüssel im Zündschloß steckengelassen hatte. Sie riß die hintere Tür auf, bückte sich und packte Jody an den Schultern.
»Lehn dich zurück. Bist du in Ordnung?« Sie berührte prüfend seine Haut. Das Fieber war gesunken, aber er fühlte sich immer noch warm an. »Wie geht es dir?«
Sie sah, daß sich die Haut über dem Einschußloch in der Brust geschlossen hatte und makellos und glatt wie Plastik war. »Ich glaube es einfach nicht«, sagte Scully.
»Gibt es hier irgendwas zu essen?« fragte Jody.
Scully fiel die halbvolle Tüte mit den Käseröllchen ein, die Mulder auf dem Vordersitz liegengelassen hatte, und sie ging zur anderen Seite des Wagens, um sie zu holen. Der Junge griff nach der Tüte und stopfte gierig die Röllchen in sich hinein, verschmierte sich die Lippen und die Finger mit dem orangen Aromapulver.
Der schwarze Labrador wedelte mit dem Schwanz, warf sich auf dem Rücksitz hin und her und bettelte um die Aufmerksamkeit des Jungen, obwohl Jody mehr am Essen interessiert war. Abwesend tätschelte er Vaders Rücken.
Als Jody mit den Käseröllchen fertig war, beugte er sich nach vorn und sah sich hungrig um. Scully bemerkte ein Glitzern. Lautlos fiel ein Stück Metall von seinem Rücken.
Scully griff hinter Jody, der geistesabwesend beiseite rutschte. Sie hob eine Kugel auf, die Kugel, die in ihm gesteckt hatte. Sie zog sein Hemd hoch und sah ein rotes Mal an seinem Rücken, eine runzlige Narbe, die Sekunden später verschwunden war. Sie hielt die plattgedrückte Kugel zwischen den Fingerspitzen und konnte es nicht fassen.
»Jody, weißt du, was mit dir passiert ist?« fragte sie.
Der Junge hob den Kopf und sah sie an. Sein Gesicht war mit Käsepulver verschmiert. Vader saß neben ihm und legte sein Kinn auf Jodys Schulter, blinzelte mit seinen großen braunen Augen und wirkte völlig zufrieden, überglücklich, daß der Junge lebte und gesund war und sich wieder um ihn kümmern konnte.
Jody zuckte die Schultern. »Mein Dad hat was mit mir gemacht.« Er gähnte. »Nanotech... nein, er nannte sie Nanomaschinchen. Biologische Polizisten, die meine Leukämie heilen, mich wieder gesund machen sollten. Ich durfte niemand etwas davon erzählen, nicht mal meiner Mutter.«
Bevor sie ihre nächste Frage stellen konnte, gähnte Jody
erneut und seine Augen fielen zu. Jetzt, wo er gegessen hatte, überkam ihn eine überwältigende Müdigkeit. »Ich muß schlafen«, murmelte er, und obwohl Scully versuchte, ihm weitere Einzelheiten zu entlocken, war er zu erschöpft, um ihr zu antworten.
Er blinzelte mehrmals mit bleischweren Lidern, holte dann tief Luft und sank auf seinem Sitz in sich zusammen, wo er in einen tiefen und ruhigen Schlaf fiel, nicht in jenes schockinduzierte Koma, das sie zuvor bei ihm beobachtet hatte. Dieser Schlaf war heilsam und wichtig für seinen Körper.
Scully richtete sich auf und trat vom Wagen zurück. Noch immer konnte sie nicht fassen, was sie soeben erlebt hatte. Der leise Glockenton erinnerte sie mahnend daran, daß die Fahrertür offen stand und die Schlüssel noch immer im Zündschloß steckten.
Erst allmählich dämmerte ihr die ganze Tragweite des soeben Erlebten, und ratlos fragte sie sich, was sie jetzt tun sollte. Mulder würde einen Freudensprung machen, wenn er davon erfuhr. Sie hätte wahrscheinlich mit Skepsis reagiert und bezweifelt, daß die zellulare Technologie so weit fortgeschritten war - aber sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie stark Jody Kennessys Selbstheilungskräfte waren, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß er sich vollständig von den schrecklichen Folgen der tödlichen Leukämie erholt und keine Ähnlichkeit mehr
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