Akte X
dann verfolgt worden zu sein. Er fand weitere Pfotenspuren des Hundes und Abdrücke von Scullys Schuhen.
Und kleinere Abdrücke - die des Jungen?
»Scully!« rief er wieder, aber er bekam keine Antwort. Da war nur das Rauschen der Kiefern und das Gezwitscher einiger Vögel. Der Wald schwieg, als wäre er eingeschüchtert oder zornig. Mulder lauschte, aber noch immer antwortete niemand.
Dann fuhr der tote Mann auf dem Boden wie ein Springmesser hoch.
Seine klauengleiche linke Hand packte den Saum von Mulders Mantel. Mulder schrie auf und wich zurück, aber die grausige Gestalt hielt ihn am Mantel fest.
Ohne das kadaverhafte Gesicht zu verziehen, hob Jeremy Dorman die Hand mit dem Revolver und richtete ihn drohend auf Mulder. Mulder starrte die klauengleiche Hand an und sah, daß sich die Haut kräuselnd bewegte -von Nanomaschinen infiziert? - und von einem schlüpfrigen Schleimfilm bedeckt war. Ein ansteckender Schleim... der Träger der tödlichen Nanotech-Seuche.
34 Wildnis, Oregon Freitag, 16:19 Uhr
Bis zum nächsten Krankenhaus waren es mindestens einhundert Kilometer über die kurvenreichen Straßen in den bewaldeten Bergen - und Scully wußte nicht genau, wohin sie fuhr. Sie raste weiter, im Rücken die tief stehende Sonne, die durch die Bäume glitzerte, um dann wieder hinter den Wolken zu verschwinden.
Sie hielt das Gaspedal durchgedrückt und schleuderte durch die Kurven der nach Norden führenden Landstraße. Zu beiden Seiten huschten dunkle Kiefern vorbei wie die Wände eines Tunnels.
Auf dem Rücksitz gab Vader ein nervöses Winseln von sich. Blut und Schaum klebten an seiner Schnauze. Sie hatte noch keine Zeit gehabt, ihn zu säubern. Er schnüffelte an dem reglosen Jungen, der neben ihm auf dem Sitz lag.
Scully versuchte, nicht an den brutalen Angriff des Hundes auf den kräftigen Mann zu denken, der die Krankheit in sich trug, die Patrice Kennessy getötet hatte, der Mann, der Jody bedroht hatte. Trotz der getrockneten Blutspritzer an seinem Fell schien der Hund wild entschlossen, seinen Herrn auch weiter zu beschützen.
Vor ihrer Abfahrt vom Blockhaus hatte sie festgestellt, daß Jodys Puls schwach und seine Atmung unregelmäßig
war - aber der Junge war zäh und lebte noch immer. Er schien in ein Koma gefallen zu sein. In den letzten zwanzig Minuten hatte Jody keinen Laut von sich gegeben, nicht einmal ein Stöhnen. Sie blickte in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, daß sich sein Zustand nicht verändert hatte. Zwischen den Bäumen am rechten Straßenrand sprang ein Hund hervor und direkt vor ihr auf die Straße. Scully sah ihn aus den Augenwinkeln, trat auf die Bremse und riß das Lenkrad herum.
Der Hund verschwand blitzartig im Unterholz. Der Wagen geriet auf der regennassen Straße ins Schleudern, und erst im letzten Moment bekam sie ihn wieder unter Kontrolle. Im Rückspiegel sah sie, wie der Hund erneut auf die Straße lief, als wäre nichts geschehen.
Auf dem Rücksitz keuchte Jody und bäumte sich wie unter Krämpfen auf. Scully hielt den Wagen mitten auf der Straße an und löste ihren Sicherheitsgurt, um sich nach hinten zu beugen. Sie fürchtete, daß der Junge am Ende seiner Kräfte angelangt war und sich dem Tod ergeben hatte.
Sie berührte ihn; Jodys Haut war heiß und fiebrig und schweißnaß. Seine Haut brannte. Schweiß perlte über seine Stirn. Seine Augen waren geschlossen. Trotz ihrer medizinischen Ausbildung wußte Scully nicht, was sie tun sollte.
Einen Moment später ließen die Krämpfe nach, und Jody atmete etwas ruhiger. Vader stupste die Schulter des Jungen an und leckte ihm dann leise winselnd die Wange.
Da sich sein Zustand offenbar wieder stabilisiert hatte, wollte Scully keine weitere Zeit verschwenden. Sie legte den Gang ein und gab Gas, daß die Räder auf der laubbedeckten Straße durchdrehten. Bäume verschluckten die Kurven vor ihr, und sie war gezwungen, sich auf die Straße statt auf ihren Patienten zu konzentrieren.
Das Handy an ihrer Seite war noch immer nicht betriebs-bereit. Sie fühlte sich schrecklich isoliert, wie die Survivalistengruppe, bei der Jodys Onkel untergekrochen war. Diese Leute hatten sich freiwillig dafür entschieden, aber im Moment sehnte sich Scully nach einem großen, hell erleuchteten Krankenhaus mit vielen Ärzten und anderen Spezialisten, die ihr helfen konnten.
Sie wünschte, Mulder wäre bei ihr. Oder daß sie ihn zumindest anrufen könnte.
Als Jody hustete und sich auf dem Rücksitz aufsetzte,
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