Akte X
später klappte er es zusammen und legte es auf dem Armaturenbrett ab. Danach saß er einfach nur reglos da. Zigarettenrauch stieg um ihn herum auf, erfüllte das Wageninnere, drang aus dem geöffneten Seitenfenster hervor und löste sich in der Dunkelheit auf.
4 Route 229 Warrenton, Virginia - 17:43 Uhr
»Fahren Sie an den Straßenrand«, befahl Mulder.
»Was?« fragte Krycek, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. »Warum?«
»Sie fahren wie meine Großmutter. Also halten Sie an. Ich übernehme.«
»Hey, ich fahre okay.« Krycek musterte Mulder mit plötzlich besorgter Miene.
»Sie schleichen.«
»Ich beachte nur die Geschwindigkeitsbeschränkung.«
»So? Wir sind FBI-Agenten, Krycek. Haben Sie Angst, einen Strafzettel zu kassieren?« Krycek sah starr geradeaus. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Nein, das wohl kaum.«
»Also, machen Sie schon. Sie können da vorne an den Rand fahren. Ich meine es ernst. Halten Sie an.«
Widerwillig ließ Krycek den Wagen am Straßenrand ausrollen. »Sie haben nicht geschlafen. Sind Sie sicher, daß das eine gute...«
Aber Mulder war bereits ausgestiegen. Er ging um den Wagen herum und öffnete die Fahrertür. »Los, steigen Sie aus.«
Krycek seufzte, stieg aus und umrundete das Fahrzeug. Mulder nahm auf dem Fahrersitz Platz. Krycek hatte kaum die Beifahrertür geschlossen, als Mulder auch schon das Gaspedal herunterdrückte, eine Fontäne aus Staub und Schotter aufwirbelte und den Wagen wieder auf die Fahrbahn lenkte.
»Jesus!« stieß Krycek hervor. »Würden Sie mich bitte vorher wenigstens den Sicherheitsgurt anlegen lassen?«
Mulder ignorierte ihn. 90 Sekunden später stand die Tachonadel bereits so weit rechts, wie sie nur ausschlagen konnte.
Während der nächsten zehn Meilen sprach niemand ein Wort. Mulder hielt den Blick starr auf die leere Straße gerichtet. Der Wagen schien wie auf einem Luftkissen zu schweben. Ihm war undeutlich bewußt, daß er zu schnell fuhr. Bei 120 Meilen pro Stunde hob der Wagen fast ab.
Die Straße spulte sich endlos unter ihm ab, grau, konturlos und einlullend...
Mulders Kopf fiel ein wenig nach vorn.
»Hey!« rief Krycek erschreckt.
Mulder zuckte hoch, gerade noch rechtzeitig, um den Kühlergrill eines Lastwagens zu sehen, der auf ihn zuraste. Er riß das Lenkrad herum, spürte, wie die Hinterräder kurz den Kontakt mit der Straße verloren, und dann schössen sie auch schon dicht an dem Truck vorbei.
Das anklagende Hupen des Lastwagens verklang hinter ihnen, als Mulder den Wagen auf die rechte Fahrbahn zurücklenkte.
»Sie sind eingenickt«, stellte Krycek langsam und mühsam beherrscht fest. »Sollte ich nicht lieber wieder fahren?«
Mulder warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Ich bin okay.«
»Wie lange haben Sie nicht mehr geschlafen, Mulder?«
Mulder richtete den Blick wieder auf die Windschutzscheibe. »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich okay bin.« Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Krycek gab nach, verspürte aber ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend.
»Wußten Sie eigentlich, daß bei der Tschernobyl-Katastrophe und auch bei dem Untergang der Exxon Valdez jedesmal Schlafmangel eine Rolle gespielt hat?« fragte er nach einer Weile. Mulder schaute ihn mit einem beinahe angewiderten Gesichtsausdruck an, als würde Krycek das Gutachten einer regierungsamtlichen Untersuchungskommission zitieren.
»Das Bundesverkehrsministerium schätzt, daß jährlich 190000 tödliche Autounfälle durch Schlafmangel verursacht werden«, fuhr Krycek unbeirrt fort.
»Hat es auch geschätzt, wie viele Leute einschlafen, wenn sie sich diese Statistiken anhören müssen?« erkundigte sich Mulder trocken.
Krycek wandte beleidigt den Blick ab. »Hey, Mann, ich versuche nur, Sie wachzuhalten.« Endlich bemerkte Mulder trotz seiner bleiernen Müdigkeit, wie angespannt Krycek war. Er musterte ihn mit neu erwachtem Interesse.
»Hören Sie«, sagte er schließlich, »ich weiß, daß Skinner uns befohlen hat, uns aus dieser Sache herauszuhalten. Aber wenn wir ihm Bescheid gesagt hätten, hätte er gleich die ganze Kavallerie losgeschickt. Es könnte sein, daß Duane Barry dann endgültig überschnappt.«
Krycek schnaubte, nickte aber gegen seinen Willen. »Da haben Sie recht.«
Mulder akzeptierte die unerwartete Kapitulation großmütig. »Wenn wir die beiden finden, informieren wir das FBI.«
Krycek nickte wieder und schwieg. Er kam Mulder irgendwie merkwürdig nachgiebig vor, ganz anders
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