Akte X
Firmen, nur daß die Männer und Frauen an den Schreibtischen ausnahmslos Waffen trugen.
Mulder rieb sich mit den Fingerknöcheln über die Augen. Er fühlte sich müde und ausgepumpt.
Er wußte, daß er eigentlich dringend Schlaf brauchte und nicht voll einsatzfähig war, daß seine Erschöpfung ihn vielleicht sogar dazu verleiten würde, Fehler zu machen, aber er konnte nicht einfach abschalten.
Die Bilder von Scullys Gesicht waren auf der linken Seite seines Schreibtischs ausgebreitet. Immer wieder strich sein Blick kurz über sie, doch seine Aufmerksamkeit galt in erster Linie dem schwarzen Kassettenrecorder vor ihm. Er drückte die Abspieltaste, und das Band drehte sich.
»Zu welchem Ort, Duane?«
»Dahin, wo alles angefangen hat. Wo sie mich zum ersten Mal mitgenommen haben.« »Wo ist das?«
Es folgte eine Pause, und Mulder sah wieder den hilflosen und resignierten Gesichtsausdruck vor sich, den Duane gemacht hatte, als er sich zu erinnern versuchte.
»Da ist ein Berg. Wir klettern hoch und immer höher. Steigen... zu den Sternen auf.«
Mulder starrte den Kassettenrecorder an, während er wartete, und rief sich in Erinnerung zurück, wie Duane um die nächsten Worte gekämpft hatte. Damals hatte es ihn zwar interessiert, was Duane sagen würde, aber vor allen Dingen war es ihm darum gegangen, die Geiseln und sich selbst unverletzt aus der Gewalt des Geiselnehmers zu befreien. Jetzt wünschte er, er hätte Duane am Hals gepackt, um die Erinnerung aus ihm herauszuwürgen.
»Ich gehe nicht mehr mit. Sie werden Duane Barry nicht mehr holen. Sie können den Doc nehmen, aber nicht mich!«
Es gab eine leichte Rückkopplung, als Duane die letzten Worte heulte. Mulder hieb auf die Stoptaste und spulte das Band zurück. Dann ließ er es erneut abspielen.
»Da ist ein Berg. Wir klettern hoch und immer höher. Steigen... zu den Sternen auf.«
Wieder unterdrückte Mulder das schier übermächtige Bedürfnis, den Recorder auf den Boden zu schmettern. Doch damit wäre niemandem geholfen. Müde hielt er das Band an, spulte es zurück und startete es von neuem.
»Steigen... zu den Sternen auf.«
Irgendwie wußte er, daß er die Lösung kannte. Irgendwo in einem verborgenen Winkel seines Gehirns schwirrten alle Teile des Puzzles herum. Vielleicht in den Tiefen seines Unterbewußtseins, vielleicht in irgendeinem Erinnerungsfetzen, den er noch nicht zu fassen bekam. Doch sein Gefühl sagte ihm, daß er die Antwort kannte, wenn ihm nur einfallen würde, was er wußte.
Er starrte den Recorder an, als könne er ihn durch irgendeine psychokinetische Fähigkeit dazu zwingen, seine Geheimnisse auszuspucken. Natürlich passierte nichts. Das Band drehte sich immer weiter, und Mulders Gedanken kreisten genauso beharrlich immer wieder um denselben Punkt.
»Ahh!« Er hieb frustriert auf die Stoptaste und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. Aus den Augenwinkeln heraus sah er Scullys Gesicht, ihre Angst, ihre Hilflosigkeit.
»Kaffee?«
»Hmm?« Mulder drehte sich halb herum, von Alex Kryceks ruhiger Stimme aus seinen trostlosen Gedanken gerissen. Er sah, wie Krycek zwei Styroporbecher in den Händen balancierte. Krycek war frisch rasiert, das Haar makellos gekämmt. Sein Anzug sah aus, als wäre er gerade aus der Reinigung gekommen. Auf Hochglanz polierte Schuhe, die Fingernägel manikürt. Er hätte einem Werbeplakat des FBI entsprungen sein können. Mulder hatte nie herausgefunden, was ihn an Krycek störte. Es gab keinen konkreten Punkt, der an ihm zu beanstanden gewesen wäre, aber alle Eigenschaften zusammengenommen riefen ein unangenehmes Kribbeln in ihm hervor.
»Wie haben Sie geschlafen?« erkundigte sich Krycek, als er Mulder einen Becher reichte.
»Ich konnte nicht schlafen.«
Krycek betrachtete die Fotos auf Mulders Schreibtisch und dann den Kassettenrecorder. Mulder seufzte, trank einen Schluck Kaffee, stellte den Becher beiseite und drückte zum wiederholten Mal die Starttaste. Wieder ertönte Duanes vor Anspannung heisere Stimme.
»... sie werden Duane Barry nicht mehr holen.«
Alex Krycek hob die Augenbrauen. Er trat einen Schritt näher. Mulder spulte das Band zurück und ließ es erneut laufen.
»Da ist ein Berg. Wir klettern hoch und immer höher. Steigen... zu den Sternen auf.« »Was ist das?« fragte Krycek.
Auf einmal spürte Mulder, wie sich irgend etwas in seinem Kopf löste. Er hatte lange darauf gewartet, daß der Groschen endlich fallen würde.
Und jetzt endlich
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