Akte X
Frau starrte ihn an. Mulder hatte das äußerst irritierende Gefühl, daß er ihr aus irgendeinem Grund leid tat. Die Vorstellung ärgerte ihn. Er erwiderte ihren Blick und wartete.
»Ihre Seele ist hier«, erklärte die Frau. Margaret Scully hatte sich leise zu ihnen gesellt. »Hi, Mom.«
Margaret nickte der Frau zu, den Blick auf Scully gerichtet. »Ich bin froh, daß du kommen konntest, Melissa.«
Mulder musterte zuerst das Gesicht von Melissa, dann das von Scully. »Sie sind ihre Schwester?« Melissa nickte. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Kristall, den sie noch immer über die Brust ihrer Schwester hielt. »Dana entscheidet sich, ob sie bleiben... oder weiterziehen soll.«
Margaret Scully stieß ein leises, resigniert klingendes Seufzen aus, drehte sich um und entfernte sich. Melissa schaute ihr besorgt hinterher, dann wandte sie sich wieder Mulder zu.
»Sie können sie spüren. Hier.« Sie ergriff Mulders rechte Hand und führte sie auf Scullys Körper. Ihre Finger fühlten sich weich und kühl auf seiner Haut an. Sie ließ seine Hand los und schloß die Augen. Mulder folgte ihrem Beispiel.
Um ihn herum herrschte völlige Dunkelheit. Dann bemerkte Mulder ein sehr seltsames Licht. Dies war eine ähnliche Vision wie die im Restaurant auf dem Skyland Mountain, als ihn die Lampe geblendet hatte.
Er sah Scully vor sich. Sie saß stumm und reglos in einem kleinen, rot und weiß gestrichenen Ruderboot, das auf einem riesigen See dahindümpelte. Der See schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Scullys starrer Blick war unverwandt auf das Ufer gerichtet.
Ein langes Seil führte vom Bug des Bootes zu einem Steg, auf dem Mulder zu stehen glaubte. Es war sehr still, bis auf das leise Säuseln des Windes in uralten Kiefern, die das felsige Ufer säumten, und das träge glucksende Klatschen kleiner Wellen gegen die Pfosten des Bootsteges, war nichts zu hören.
Mulder blinzelte, und sofort war das Bild wieder verschwunden. Er schüttelte ratlos den Kopf. Was hatte er da gerade erlebt? Eine Halluzination? Eine Vision?
Was es auch immer gewesen sein mochte, er fand es äußerst beunruhigend. Die Scully, die er gesehen hatte, war mit einem langen, schwarzen Mantel bekleidet gewesen und hatte ihn überhaupt nicht wahrgenommen. Und doch war er plötzlich von dem überwältigenden Gefühl übermannt worden, daß sie etwas von ihm wollte. Oder vielleicht erwartete. Aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, was das sein konnte.
Schwester Owens tauchte hinter ihnen auf. Ihr großes rundes Gesicht wirkte fröhlich. »Sie ist nicht hier«, stieß Mulder hervor.
Und das war die Wahrheit. Scullys Körper war hier, aber sie selbst befand sich irgendwo anders.
Melissa starrte ihn böse an. »Ihre Wut... Ihre Angst... Sie blockieren alle positiven Gefühle, die Dana jetzt so dringend braucht.«
Schlagartig erwachte Mulder aus seiner merkwürdigen Lähmung. Er betrachtete seine Hand, die noch immer über Scullys Brust schwebte, und zog sie zurück.
»Ich muß mehr tun, als nur in der Luft herumwedeln«, zischte er unwirsch. Er ignorierte den halb verärgerten, halb verletzten Ausdruck, der auf Melissas Gesicht erschien, und drehte sich um. Aber er konnte ihren Blick deutlich auf seinem Rücken spüren, als er zur Tür ging.
Fox Mulders Apartment Washington D.C.
Als Mulder zu Hause ankam, ging er sofort ins Wohnzimmer, nahm die halbvolle Flasche Wodka und trug sie in die kleine Küche. Er vergewisserte sich, daß der Deckel fest verschlossen war, bevor er sie in den Kühlschrank stellte. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück, ordnete das Durcheinander auf seinem Schreibtisch und stand eine Weile einfach nur da, ohne irgend etwas von seiner Umgebung wahrzunehmen.
In einer Schublade mit allerlei Kleinkram fand er eine Rolle Klebeband. Er zog die Jalousie vor dem Fenster hinter seinem Schreibtisch hoch und spähte hinaus. Am Straßenrand brannte eine einzelne Laterne. Mulder rieb sich die Augen, fingerte an der Klebebandrolle herum und riß einen etwa zwanzig Zentimeter langen Streifen ab, den er in einem Winkel von fünfundvierzig Grad auf die Fensterscheibe klebte. Ein zweiter Streifen vervollständigte das X. Dann verdrehte er den schwenkbaren Hals der Schreibtischlampe so, daß der längliche Lichtkegel genau auf das X fiel.
Der Rest des Raumes lag nun in völliger Dunkelheit. Mulder wußte, daß das beleuchtete X von draußen auch noch aus großer Entfernung deutlich sichtbar war. Man mußte nur
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