Akte X
Ihre Kriterien für die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen sind ziemlich klar definiert.« Er haßte das.
Nur ein anderer Arzt konnte sich in seine Situation hineinversetzen. Und Dana Scully war Ärztin. Sie hatte sich in ihrem letzten Willen klar geäußert. Und sie hatte sich der Sprache bedient, hatte die Wörter benutzt, die sie alle verstanden. Die kalten, klinischen Begriffe der Wissenschaft. Es war unmöglich, Dana Scullys Wünsche mißzuverstehen, und zumindest dafür war Daly dankbar.
»Sie hat verfügt, daß, wenn sie nach der Glasgow-Ergebnisskala...«
Mulder vergrub das Gesicht in den Händen. Er wußte über diese Skalen Bescheid. Es gab zwei, und Scully hatte auf beide zurückgegriffen. Die erste war die Glasgow-Komaskala, mit der die Tiefe eines komatösen Zustands festgelegt wurde. Sie war in drei Abschnitte unterteilt und beruhte auf solchen Klassifizierungen wie »keine Reaktion auf nervliche Stimuli; keine Fähigkeit, sich verbal zu äußern; kein öffnen der Augen«.
Die Glasgow-Ergebnisskala war noch trostloser. Sie wurde benutzt, um Prognosen abzugeben und die bestmöglichen Voraussagen zu erstellen. Das zweitschlimmste Ergebnis wurde »dauerhafter vegetativer Zustand« genannt, das schlimmste trug die schlichte Bezeichnung »Tod«.
Scully hatte bestimmte Zustände beider Skalen als den Punkt definiert, an dem alle lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden sollten. Mulder wußte, daß Scully keine Anhängerin der Euthanasie war, aber sie verfügte über die nüchterne medizinische Fähigkeit, für sich selbst eine Entscheidung über die Grenzen des Lebens zu treffen. Und diese Entscheidung hatte sie bereits vor langer Zeit gefällt.
Mulder dachte darüber nach, welche Rolle er bei dieser Entscheidung gespielt hatte. Er ließ die Hände sinken und sah Margaret an. Schluß mit den Fachtermini. Die Wahrheit war schlimm genug. »Sie möchte in diesem Zustand nicht weiterleben«, erklärte er.
Margaret zuckte zusammen. Es war der Wille ihrer Tochter. Aber es war so nüchtern und kalt, so... endgültig.
Daly beobachtete Mulders Augen. Schließlich nickte er und sagte leise: »Sie haben diese Verfügung als Zeuge unterschrieben.«
Ja, dachte Mulder. Aber ich habe nie geglaubt, daß es einmal dazu kommen würde, sie anzuwenden.
Northeast Georgetown Medical Center Washington D.C. Intensivstation
Als Mulder die Zimmernische betrat, in der Scully lag, bemerkte er ein funkelndes Licht. Es war ein fröhliches Aufblitzen, strahlend und klar, irgendwie unpassend für einen Ort wie diesen. Sein Blick blieb zuerst an einem Kristall hängen, der sich langsam an einer Kette über Scullys Brust drehte, und wanderte dann weiter zu der Hand, die das andere Ende der Kette hielt.
Sie gehörte zu einer Frau, die auf den ersten Blick jugendlich wirkte, bis man sie genauer betrachtete. Dann entdeckte man kleine Fältchen um die Augenwinkel und ein paar silbrige Strähnen in den rotgoldenen langen Locken. Sie trug die Art von Kleidung, die Mulder immer mit Hippies assoziierte, ohne daß er genau hätte sagen können, was ihn auf diesen Gedanken brachte.
Er ging langsam zu der Frau hinüber. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Hand, die den Kristall über Scullys Brust baumeln ließ, zeigte nicht das leiseste Zittern. Die Frau strahlte eine tiefe innere Ruhe aus, gepaart mit einer undefinierbaren Traurigkeit, die, wie Mulder zu spüren glaubte, jedoch nur wenig mit Scully zu tun hatte.
Als er neben ihr stehenblieb, ließ sie den Kristall langsam in seine Richtung wandern. Er betrachtete ihn, ohne sich zu bewegen. Sie öffnete die Augen und sah ihn an.
»Mir wurde nahegelegt, Sie nicht Fox zu nennen«, sagte sie.
Mulder befiel das beinahe übermächtige Gefühl, sie irgendwoher zu kennen. Waren sie sich früher schon einmal begegnet? Er konnte sich nicht daran erinnern, aber offensichtlich wußte sie, wer er war. Und sie wußte, daß er seinen Vornamen nicht gerne benutzte.
»Von wem?« fragte er.
Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich. Sie bedachte Scully mit einem flüchtigen Blick. »Von Dana... gerade eben.«
Mulder betrachtete Scullys Gesicht, das noch immer von einem Durcheinander aus Klebepflastern, Schläuchen und Kabeln verunstaltet war. Dann blickte er mit plötzlich aufkeimender Hoffnung zu der Maschine über ihr auf, aber seine Hoffnung erlosch ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war. »Wenn sie gesprochen hätte, hätte das EEG dies angezeigt.«
Die
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