Akte X
wissen, worauf man zu achten hatte. Selbst wenn man in einem Auto vorbeifuhr, konnte man es nicht übersehen.
Er spielte mit dem Gedanken, sich zu duschen, spürte die juckenden Bartstoppeln auf seinen Wangen und den schmierigen, getrockneten Schweißfilm unangenehm auf der Haut. Aber was war, wenn jemand anrief, während er unter der Dusche stand? Was war, wenn jemand leise an seine Tür klopfte? Was war, wenn...?
Seit der Anruf aus dem Krankenhaus ihn aus seinen wodkageschwängerten trübseligen Grübeleien gerissen hatte, waren fast vierundzwanzig Stunden vergangen. Seine Muskeln schmerzten vor Müdigkeit, aber sein Gehirn summte vor fieberhafter Energie. Unruhig stand er wieder auf, lief hin und her, setzte sich, stand auf...
Jedes Mal, wenn er die Augen schloß, sah er Scullys Gesicht vor sich, die Pflaster, Schläuche und Kabel, das matte Flattern ihrer bläulichen Augenlider, während sie gegen irgend etwas ankämpfte, das sie von innen heraus zu verschlingen drohte.
Er wußte nicht, was er tun sollte. Er wußte es einfach nicht. Aber irgendwo mußte es doch Leute geben, die die Antwort kannten. Wenn es ihm nur gelingen würde, sie zu finden und mit ihnen zu sprechen. Wenn er ihnen dann klarmachen könnte, wie wichtig...
Sein Kopf sackte langsam vornüber, das Kinn fiel ihm auf die Brust. Mulder schnarchte leise. Die Lampe auf seinem Schreibtisch warf die Silhouette des X von der Fensterscheibe in die Dunkelheit.
Zehntes Kapitel
1 Fox Mulders Apartment Washington D.C.
Die Wärme der Sonnenstrahlen ließ Mulder erwachen. Er blinzelte mit verquollenen Augen. Einen Moment lang starrte er orientierungslos die Wand an. Dann drehte er sich zu dem improvisierten Kreuz auf der Glasscheibe um.
Er sprang auf. Seine Muskeln waren verkrampft. X! Hatte er ihn verpaßt?
Mulder hechtete über den Sofatisch und eilte zur Wohnungstür. Sein Blick fiel auf den schmalen Spalt zwischen Tür und Boden, durch den Tageslicht hereinschien. Keine Nachricht, kein Zettel. Er riß die Tür auf. Auf der Fußmatte lag die Morgenzeitung. Er hob sie hoch und schlug sie auf. Doch keine geheime Nachricht lag zwischen den Seiten. Mulder schüttelte die Zeitung. Nichts fiel daraus hervor. Er blätterte sie hastig durch. Noch immer nichts.
Dann warf er sie achtlos beiseite und lief zum Telefon. An dem Anrufbeantworter leuchtete das grüne Lämpchen. Kerne Nachricht. Nichts.
Seine Hektik wich in dem Maß, in dem seine Hoffnung schwand. Draußen hatte ein schöner sonniger Tag begonnen. Auf seinem Fenster prangte ein X aus Klebeband.
Mulder riß die Streifen ab und knüllte sie zu einer klebrigen Kugel zusammen. Dann ballte er die Hand zur Faust und ließ sie donnernd auf die harte Tischplatte krachen.
Wieder und immer wieder.
2 Northeast Georgetown Medical Center Washington D. C. Intensivstation
Mulder stand vor dem Münztelefon und rief zum vierten Mal an diesem Morgen die Telefonauskunft an, als er hinter sich Schwester Wilkins Stimme hörte. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Er drehte sich um und entdeckte etwas außerordentlich Erstaunliches. Einige Meter von ihm entfernt stand ein magerer Mann, der einen Blumenstrauß in den Händen hielt. Er trug einen billigen Anzug, der aber dennoch gemessene Feierlichkeit ausstrahlte, ebenso wie die große, schlecht gebundene blaue Fliege und das sorgfältig zurückgekämmte Haar.
»Frohike?« fragte Mulder ungläubig.
Er führte ihn zu Scullys Bett. Schwester Wilkins fing die beiden Männer ab und nahm Frohike resolut den Blumenstrauß aus den Händen. Mulder trat an das Kopfende des Bettes und betrachtete Scullys Gesicht. Ihre Haut hatte einen eigenartig bleichen Farbton angenommen und war mit einem Schweißfilm bedeckt. Ihr Anblick ließ ihn an Verfall und Auflösung denken... an beginnende Verwesung.
Frohike umkreiste ratlos das Bett, ergriff dann das Klemmbrett mit Scullys Krankenbericht und las.
Mulder beobachtete ihn. Frohike war, wie auch der Rest der Lone Gunmen, eine merkwürdige Erscheinung.
Der Mann runzelte die Stirn. Er starrte auf die erste Seite, blätterte sie um und starrte die nächste an, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Mulders Aufmerksamkeit kehrte wieder zu Scully zurück. Sein Blick wanderte wie von selbst zu der Stelle über ihrer Brust, wo sich laut Melissa ihre Seele befand. Wie sehr er sich auch bemühte, er konnte dort nichts entdecken, aber trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, daß da tatsächlich etwas war.
»Mulder?« fragte
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