Akte X
lauter. Schwarze, auf Hochglanz polierte Schuhe tauchten aus der milchigen Dunkelheit auf, dann rasiermesserscharfe Bügelfalten von Hosenbeinen, eine weiße Uniformjacke voller militärischer Orden, und schließlich das lächelnde Gesicht von William Scully, der die Mütze seiner Ausgehuniform unter den Arm geklemmt hatte.
Er ging bis zum äußersten Rand des Raumes und blieb dann stehen, als gäbe es dort eine unsichtbare Grenze, die er nicht überqueren könne. Ein trauriges Lächeln umspielte seine vollen Lippen, als er die reglose Gestalt seiner Tochter betrachtete, und in seinen Augen glitzerten Tränen. Dann begann er mit leiser und zärtlicher Stimme zu sprechen:
»Hallo, Steuermann... hier ist Ahab.«
Er zögerte, als fiele es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden.
»Die Leute haben mir immer wieder gesagt, daß das Leben sehr kurz ist. Die Kinder werden viel zu schnell erwachsen, und bevor es einem richtig bewußt wird, ist alles vorbei.«
Seine Augen flackerten, aber sein Körper behielt die militärisch korrekte Haltung bei. »Ich habe nie auf sie gehört.«
Er schien zu seufzen.
»Bis zu dem Moment... als ich begriff... daß ich dich nie wiedersehen würde. Mein kleines Mädchen. Da kam es mir so vor, als habe mein Leben nur einen Atemzug lang gewährt, nur... einen Herzschlag lang. Ich habe nie gewußt, wie sehr ich meine Tochter liebe... bis ich keine Möglichkeit mehr hatte, es ihr zu sagen.«
Er schwieg, als gingen ihm Erinnerungen durch den Kopf, die schon zu weit in der Vergangenheit lagen, um sie noch in Worte fassen zu können.
»In diesem Moment hätte ich jeden Orden, jede Auszeichnung und Beförderung dafür hergegeben... nur eine Sekunde länger mit dir verbringen zu dürfen.«
Wieder verstummte er. Er sah seine Tochter zärtlich an. »Wir werden wieder vereint sein, Steuermann... aber noch nicht jetzt.«
Er atmete tief durch. »Bald...«
Sein Blick verharrte ein letztes Mal voller Liebe auf Scully, dann drehte er sich um und kehrte in die Unendlichkeit zurück, aus der er gekommen war.
4 Northeast Georgetown Medical Center Washington D.C. Intensivstation
Der Beatmungsschlauch in Scullys Mund war ebenso verschwunden wie die meisten anderen Schläuche auch. Nur ein intravenöser Tropf und die Kabel, die von ihren Schläfen zum EEG-Gerät führten, waren zurückgeblieben. Die Linie auf dem Monitor schlug plötzlich aus, als sich Schwester Owens über Scullys lebloses Gesicht beugte.
»Dana, ich weiß, daß der Tod heute nacht sehr nahe ist. Aber Ihre Zeit ist noch nicht gekommen, Dana...«
Sie verstummte, als habe sie eine wichtige Botschaft überbracht. Dann beugte sie sich noch weiter hinab und küßte Scully auf die Stirn. Wieder zeigte die Linie auf dem EEG-Monitor einen schwachen Ausschlag an. Nur einen kleinen, aber unmißverständlichen Ausschlag.
5 Northeast Georgetown Medical Center Washington D.C. Cafeteria
Diesen Raum als Cafeteria zu bezeichnen, war Mulders Meinung nach ziemlich übertrieben. Man konnte kein warmes Essen bekommen und die wenigen Tische waren unbesetzt. An den Wänden hingen ein paar Automaten, an denen man Limonade, Süßigkeiten und Sandwiches ziehen konnte. Außerdem gab es noch einen Zigarettenautomaten.
Mulder saß Melissa gegenüber, die Hände auf einen leeren Styroporbecher gelegt, die Stirn auf die Handrücken gestützt. Ein unbeteiligter Zuschauer hätte glauben können, daß er bete, aber das war nicht Fall. Mulder war lediglich so erschöpft, daß er Mühe hatte, sich noch aufrecht zu halten.
Melissa betrachtete ihn einen Moment lang und ließ dann das Sandwich sinken, an dem sie herumgeknabbert hatte. Sie ergriff eine Papierserviette und sagte: »Wissen Sie, Fox... Entschuldigung, Mulder...«
Mulder schaute aus blutunterlaufenen Augen auf. Seine Krawatte war gelockert und saß schief. »Auch wenn Sie den Rest Ihres Lebens damit zubringen würden, alle Personen ausfindig zu machen, die dafür verantwortlich sind«, fuhr sie fort, »würde das Dana doch nicht zurückbringen.« Er suchte nach einer passenden Erwiderung, aber ihm fiel keine ein. Melissa ertrug seinen starren Blick, ohne ihm auszuweichen. Ihre innere Überzeugung gab ihr die Kraft und die nötige Sicherheit. »Wer auch immer ihr das angetan hat, wird eines Tages das gleiche schreckliche Schicksal erleiden.« Mulder öffnete den Mund, schloß ihn wieder und nickte. Melissa hätte nicht sagen können, ob er ihr zustimmte oder ihre Worte einfach nur zur
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