Akte X
vorgenommen hatte, wäre er beinahe ohnmächtig geworden, und wenn er auch während der vergangenen drei Jahre einen Teil seiner Empfindlichkeit hatte ablegen können, so hatte er doch noch einen langen Weg vor sich, bis er fähig sein würde, ein Skalpell zu führen.
»Abgesehen von der Tätowierung«, fuhr Josh fort, während er den Reißverschluß ganz hinunterzog, »sieht er wirklich gut aus. Beide Arme, beide Beine, und die Augenbank hat sich auch noch nicht bedient, beide Gucker sind noch da.«
Mike musste sich abwenden, um seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen. Erneut machte er sich bewusst, dass diese Arbeit notwendig und wichtig war. Der menschliche Körper war recyclingfähig, und das bedeutete, dass irgend jemand sich um die Weiterverwertung kümmern musste. Herz, Leber, Nieren, Augen, Haut -jemand musste das wertvolle Material nun einmal ernten.
Doch auch dieser Gedanke machte es ihm nicht leichter. Die Zähne in die Unterlippe gegraben, bemühte er sich, die Stahlschubladen, die drei Wände des einsamen Kühlraumes einnahmen, nicht zu zählen.
»Falls du dich übergeben musst«, unterbrach Josh seinen Gedankengang, »dann tu es jetzt. Wenn wir erst im OP sind, müssen wir steril bleiben.«
»Ich werde nicht kotzen.«
»Na ja, du siehst schlimmer aus als der Bursche hier. Mike, du musst dich an diesen Kram gewöhnen. Das ist lediglich ein großer Brocken Fleisch, und wir sind die Jungs hinter dem Delikatessentresen.« »Du bist widerlich.«
»Darum magst du mich doch so. Überprüf das Zehenetikett.« Josh ging zu dem Aktenschrank auf der anderen Seite des Raumes. »Ich hole die Akte.«
Mike musste durch den Mund atmen, als er die offene Schublade umrundete. Nur nicht nachdenken, mach einfach deine Arbeit! Als er das hintere Ende der Lade erreicht hatte, zog er den Plastiksack von dem Leichnam. Die Beine des Toten waren lang und muskulös und wie seine Brust von blonden Haaren bedeckt. Schwielen prangten auf seinen Füßen, und seine Zehennägel waren gelb verfärbt wie die eines alten Mannes. Mike fragte sich, ob er unter einer Art Fußpilz gelitten haben mochte.
Jetzt denkst du wie ein richtiger Arzt. Innerlich lächelnd suchte er an den großen Zehen nach dem Etikett. Falten legten sich auf seine Stirn, als er keines finden konnte. Nun suchte er unterhalb der schwieligen Fersen des Mannes in der Schublade, doch auch dort fand sich keine Spur der kleinen Kunststoffplakette, die der Identifikation des Leichnams diente. »Hey, Josh, ich kann kein Etikett finden.«
Josh kehrte von dem Aktenschrank zurück. In seinen Händen hielt er einen Schnellhefter aus Manilapapier. »Manchmal fällt es runter.«
»Ich habe schon überall nachgesehen. Da ist kein Etikett.«
Fluchend blieb Josh neben ihm stehen. Er klemmte sich den Manilahefter unter den Arm und hob die Füße des Leichnams mit beiden Händen an. Gemeinsam durchsuchten die Studenten nun die Leichenschublade, doch wieder ohne Erfolg.
»Scheiße«, schimpfte Josh. »Das ist wirklich großartig. Eckleman ist so ein verdammter Idiot.« »Wer ist Eckleman?«
»Der Assistent des Leichenbeschauers. Er ist für den Kühlraum zuständig, soll die Etiketten anbringen und dafür sorgen, dass die Akten korrekt codiert sind. Der Kerl ist ein riesengroßer Haufen Scheiße, und er säuft.« Josh nahm den Ordner wieder in die Hände und blätterte mit seinen Latexhandschuhen darin. »Derrick Kaplan. Kaukasier, Mitte Dreißig. Blondes Haar, blaue Augen. Akutes Kreislaufversagen, gestorben auf der Intensivstation.«
Mike betrachtete den Leichnam in der Lade. »Tja, er ist blond, und er hat blaue Augen. Aber er sieht nicht wie Mitte Dreißig aus. Steht da irgend etwas über die Tätowierung?«
Josh schüttelte den Kopf. »Nein, aber wie gesagt, Eckleman ist ein Idiot. Sieh mal, dies ist Fach zweiundfünf-zig. Eckleman verschlampt dauernd Etiketten, ganz besonders, wenn in der Notaufnahme viel los ist, und nach dem Unfall in der letzten Nacht. . .«
»Josh, bist du wirklich sicher, dass wir nicht erst noch einmal nachfragen sollten? Was ist, wenn das die falsche Leiche ist?«
Nachdenklich kratzte Josh sich am Kinn. Dann sah er zu dem Aufzug in einer Ecke des Raumes hinüber, vor dem eine fahrbare Krankentrage darauf wartete, den Leichnam zur Ernte in den OP zu bringen. Schließlich zuckte er die Schultern. »Wie haben eine Genehmigung, und, was noch wichtiger ist, der OP ist in der nächsten Stunde für uns reserviert. Also laß uns ein
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