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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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anderes übrig, als der Tscherkesse das Feuer eröffnete? Ihre trefflichen Polizisten hätten alle drei mit Kugeln durchsiebt. Außerdem konnte Bubenzow nicht auf eine faire Untersuchung hoffen. Und wir sehen nun, wie Recht er hatte.«
    Berditschewski sah, wie die Lippen des Angeklagten in einem triumphierenden Lächeln zuckten.
    »Es reicht«, sagte der stellvertretende Oberprokuror vernehmlich. »Der Fall ist völlig klar.«
    Berditschewski warf Mitrofani einen verzweifelten Blick zu, und der Geistliche machte ihm ein Zeichen.
    »Herr Vorsitzender«, erklärte Berditschewski unverzüglich. »Ich bitte darum, einen Zeugen der Anklage anzuhören.«
    Als sich herausstellte, dass der Bischof aussagen wollte, sprang der Verteidiger auf und rief:
    »Ich protestiere! Der Bischof hatte mit der Ermittlung nichts zu tun, ich habe die Materialien aufmerksam studiert. Folglich beabsichtigt er mit seiner Autorität als hoch geachteter Geistlicher die Meinung der Geschworenen zu beeinflussen.«
    Mitrofani lächelte, erheitert von dem Gedanken, das Gericht könnte ihm nicht das Wort erteilen. Der Vorsitzende, tiefrot im Gesicht, antwortete der hauptstädtischen Koryphäe scharf:
    »Das stimmt nicht! Obwohl Bischöfliche Gnaden formal nicht an der Ermittlung beteiligt war, wissen alle sehr genau, dass er die Tätigkeit der Ermittler leitete. Überdies ist sein Scharfblick in solchen Fällen weithin bekannt, nicht nur in unserer Provinz.« Das letzte Wort betonte der Richter, um dem Anwalt seine Sticheleien heimzuzahlen. »Sondern darüber hinaus.«
    »Wie Sie wünschen.« Lomejko neigte den Kopf, doch bevor er sich setzte, sagte er:
    »Ich bitte Sie inständig, Bischöfliche Gnaden, missbrauchen Sie nicht Ihr Wort als Geistlicher. Es wiegt schwer, umso größer ist daher die Verantwortung.«
    Der Auftritt eines solchen Zeugen stellte eine umwerfende Sensation dar, und einer der Zeichner kroch vor Eifer sogar auf dem Fußboden näher an den Geistlichen heran, um dessen majestätische Haltung beim Eid einzufangen.
    Mitrofani wandte sich nicht an die Geschworenen, sondern direkt an den Verteidiger, als sehe er in ihm die Schlüsselfigur dieser erbitterten juristischen Schlacht.
    »Sie sprachen von Verantwortung«, sagte er klar und laut. »Und wahrlich, Sie haben Recht. Auf jedem, der vor einem menschlichen Gericht aussagt, liegt eine große Verantwortung. Doch unvergleichlich größer ist unsere Verantwortung vor dem Jüngsten Gericht. Das scheinen Sie vergessen zu haben.«
    Lomejko senkte demütig den Kopf, als wage er einem so respektablen Opponenten nicht zu widersprechen, bleibe aber bei seiner Meinung.
    »Sie sind doch ein begabter Mensch und verfügen über einen scharfen Verstand«, fuhr Mitrofani vorwurfsvoll fort. »Wozu die Rabulistik? Der Kaufmann und sein Sohn, die drei armen Syten, der Künstler, die beiden jungen Frauen, der Polizist und dann noch der Kaukasier – sie alle mussten ihr Leben lassen. Und sie alle hatten irgendwie mit Bubenzow zu tun. Das werden Sie doch nicht bestreiten? Bei uns in Sawolshsk ging es still und friedlich zu. Dann erschien dieser Mann, und es war, als hätte jemand unsere gesegnete Gegend mit dem bösen Blick verhext. Plötzlich gab es Morde, gegenseitige Verdächtigungen, Hass, Gemeinheit, Zuträgerei, Zwistigkeiten in den Familien, Angst. Was ich jetzt sage, werden viele Freidenker und Gottlose für Aberglauben und Rückständigkeit halten, aber es ist die reine Wahrheit. Unter uns sind Menschen, die das Böse in sich tragen. Es gibt viele solcher Menschen, und sie sehen genauso aus wie alle übrigen. Darum haben wir keine Angst vor ihnen und gehen vertrauensvoll, mit offenen Herzen und Armen, auf sie zu.« Hier umfing der Geistliche mit einem viel sagenden Blick die Galerie, wo unsere Sawolshsker Damen saßen. »Und wir erkennen die Träger des Bösen erst, wenn es ihnen aus eigensüchtigen Gründen in den Sinn kommt, uns zu verletzen oder zu vernichten. Dann heulen und wehklagen wir, sind aber kaum mehr zu retten, denn diese bösen Menschen haben Zähne aus Stahl, Krallen aus Eisen und Herzen aus Stein.«
    Der Geistliche glich jetzt einem alttestamentarischen Propheten, und seine Stimme dröhnte, als führe er im Tal des Todes von Balaklawa (Stadt auf der Krim, wo 1854 ein Gefecht zwischen Russen und Engländern stattfand. D.Ü.) eine Schwadron in den Kampf gegen englische Husaren.
    »Wissen Sie, was für eine Plage unser Gouvernement heimgesucht hat? Das Böse ist zu uns gekommen. Und

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