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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Niemals!«, rief Olimpiada Saweljewna laut, und viele Damen pflichteten ihr glühend bei.
    »Sie bezweifeln es«, konstatierte der Verteidiger. »Und Sie haben Recht, denn der Angeklagte hat nichts von alledem getan. Sie fragen, wer hat dann all die Unglücklichen getötet? Wer ist dieses Ungeheuer? Das will ich Ihnen gern sagen. Die Herren Ermittler haben vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen, doch für einen unvoreingenommenen Menschen ohne Scheuklappen ist der Fall völlig eindeutig.«
    Der Verteidiger stemmte die Hände in die Seiten, reckte den Bart in die Höhe und holte zum entscheidenden Schlag aus:
    »Ja, Bubenzow ist schuldig. Aber nicht des Mordes, sondern unverzeihlicher Blindheit. Wie übrigens zahlreiche der hier Anwesenden. Er vermochte nicht das wilde Ungeheuer zu durchschauen, das lange Zeit seine Gönnerschaft genoss. Ja, ja, Sie haben mich richtig verstanden. Der Mörder war in allen Fällen Murad Dshurajew, das ist völlig klar. Ihm hat es nichts ausgemacht, dem Kaufmann und seinem Sohn die Kehle durchzuschneiden. Und die fünfunddreißigtausend, die Wonifatjew bei sich hatte, waren für Dshurajew ungeheuer viel Geld. Er war an jenem Tag in Drosdowka, erfuhr von dem Verkauf des Waldes, und alles Weitere war sehr einfach. Ein Kutscher kann sich leichter unauffällig vom Haus entfernen als ein Gast, der noch dazu im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Und auch mit dem Abtrennen der Köpfe hatte dieser Baschi-Bosuk, wie Sie verstehen werden, keine Schwierigkeiten.«
    Das war zweifellos ein Treffer. Die beste Bestätigung dafür war das Gewisper, das durch den Saal ging.
    »Und nun erinnern wir uns an die Umstände des Todes von Poggio. In jener Nacht randalierte Dshurajew. Er zog durch die Schänken und Kneipen, tauchte bald da, bald dort auf. Seltsamerweise dachte niemand darüber nach, warum der Kaukasier, der sonst nie trank, plötzlich rotsah. Aber es ist wieder völlig klar. Wenn es in Dshurajew etwas Menschliches gab, dann war es seine hündische Ergebenheit gegenüber seinem Herrn. Er wusste, dass Bubenzow die Frau nicht mit Poggio teilen wollte. Die Kaukasier haben zu derartigen Konflikten ein völlig anderes Verhältnis als wir zynischen und übersättigten Europäer. Wir wollen auch nicht vergessen, dass aus Dshurajews Sicht Naina Telianowa keine Giaur war, sondern die Tochter eines kaukasischen Fürsten. Man muss annehmen, dass er die Wahl seines Herrn billigte – wohl mehr als der Herr selbst.« (Diese feine Bemerkung fand volle Zustimmung bei dem weiblichen Teil des Publikums.) »Herr Selig sagte mir, er habe dem Tscherkessen von dem Skandal auf der Vernissage erzählt, von Poggios Absicht, die Fürstin Telianowa in Schande zu bringen, indem er fatale Photographien zur allgemeinen Besichtigung ausstellte. Wer von Ihnen schon mal im Kaukasus war, kann ermessen, wie ehrverletzend ein derartiges Verhalten für ein Mädchen ist und für alle, die mit ihr durch verwandtschaftliche oder andere Bande verbunden sind. Die Frau, die der Tscherkesse für die würdige Braut seines Herrn hielt, wurde, ich bitte die Damen, das grobe Wort zu verzeihen, splitterfasernackt zur Schau gestellt, zur Belustigung des Publikums.«
    Oh, da ging ein Raunen durch den Saal, und die Reporter kratzten mit ihren Bleistiften übers Papier.
    »Derartige Beleidigungen werden im Kaukasus mit Blut gesühnt. Daher auch die besondere Grausamkeit des Mordes, das blindwütige Vernichten der Bilder, aller, ohne Ausnahme. Nur ein unbändiges orientalisches Temperament ist zu solcher Raserei fähig. Die unhaltbaren Vermutungen, die wir vom Staatsanwalt bezüglich einer Espe und einer Hacke gehört haben, sind allenfalls für, pardon, Kriminalromane geeignet. Die Staatsanwaltschaft hat versucht, auf einem zufälligen Zusammentreffen von Umständen ein ganzes Gebäude der Anklage zu errichten. Es nimmt nicht wunder, dass diese abstruse Konstruktion beim ersten Anstoß in sich zusammengefallen ist . . . Nun, und bei dem dritten Mord ist alles noch einfacher. Dshurajew hatte den Hauptbeleidiger getötet, doch das stellte ihn nicht zufrieden. Der Rausch verflog, aber der Schmerz der Kränkung, die seinem Herrn zugefügt worden war, peinigte weiterhin sein wildes Herz. Denn die größte Kränkung war seinem Herrn von der Frau angetan worden, die beinahe seine Gattin geworden wäre. Sie hatte ihn nicht nur betrogen, sondern sich wie eine verächtliche Dirne aufgeführt. In der muselmanischen Welt werden solche Frauen bekanntlich

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