Akunin, Boris - Pelagia 01
Dame zu sein schien, die von Olimpiada einer Einladung gewürdigt worden war. Das Missvergnügen der wichtigsten Konfidentin und Bundesgenossin Bubenzows zu erregen wäre zumindest unvernünftig gewesen.
Die arme Pelagia saß fast einen halben Tag in ihrem Schlafzimmer vor dem Toilettenspiegel und zog den Ausschnitt des schamlosen Samtkleides mal zum Kinn hoch, mal ließ sie ihn in die von Monsieur Leblanc vorgegebene Tiefe sinken.
Dabei sei eingestanden, dass sich ihr Dekollete sehen lassen konnte, denn ihre Sommersprossen waren zum Herbst vorn fast ganz verschwunden, aber sie waren auf die Schultern hinübergewechselt, vermutlich eine Folge des häufigen Schwimmens, und verliehen nach ihrer Meinung diesem Teil ihrer Anatomie Ähnlichkeit mit zwei goldenen Apfelsinen. Alle würden dorthin starren.
Entsetzlich, aber sie hatte keine Wahl.
Das Messingglöckchen klingelte – jemand war von der Straße hereingekommen, und Frau Lissizyna sah Poggio sich auf die Zehenspitzen stellen und den Hals recken.
Eingetroffen waren Bubenzow und sein Adlatus Selig. Polina Lissizyna vermerkte noch die Enttäuschung, die dem Künstler den Mund herabzog, dann richtete sie mit allen anderen ihre Aufmerksamkeit auf den Ankömmling.
Bubenzow nickte den Gästen leicht zu, hielt es jedoch nicht für notwendig, sich für die Verspätung zu entschuldigen. Der Hausfrau drückte er die Hand und hielt ihre langen blassen Finger ein wenig fest, was sie erröten und erblühen ließ.
»So, nun sind alle beisammen!«, rief sie fröhlich. »Na, Arkadi Sergejewitsch, sagen wir Sesam öffne dich?« Und sie zeigte auf die verschlossene Tür zum Salon.
»So geht es nicht. Die Nachzügler müssen erst die Gelegenheit bekommen, ein Gläschen zu trinken«, widersprach der Künstler und blickte wieder zum Eingang. »Der Champagner ist gewiss attraktiver als meine langweiligen Landschaften.«
»Es ist Fastenzeit«, sagte Selig vorwurfsvoll. »Wladimir Lwowitsch und ich sind Gottesmänner. Zeigen Sie uns lieber Ihre Bilder.«
Bubenzow hatte schon am Glas genippt, aber er stellte es sogleich hin. Mit erwartungsvoll hochgezogenen Brauen sagte er: »Ja, wirklich, öffnen Sie. Wir wollen doch sehen, womit Sie uns so neugierig gemacht haben.«
Poggio wurde blass. Er bezwang seine Erregung und sagte, gleichsam verärgert über sich selbst, sehr hastig: »Na gut, soll es so sein. Also, meine Damen und Herren, wie einige von Ihnen wissen, bin ich hierher gekommen, um etliche Arbeiten für eine Ausstellung im Moskauer Rumjanzew-Museum zu machen. Der Titel: Das verschwindende Russland. Die poetische Welt eines alten Adelsguts, das Bild eines verwilderten Gartens, von Efeu umrankte Lauben, abendlicher Dunst und sonstiger romantischer Schnickschnack. Aber was soll ich das beschreiben – sehen Sie selbst.«
Mit einer übertrieben heftigen, gleichsam verzweifelten Geste stieß er die beiden Türflügel auf und bat in den Salon.
Die kleine Ausstellung – nicht mehr als drei Dutzend Arbeiten – war einfach, aber kunstvoll arrangiert. Das flimmernde Licht der Gaslämpchen warf keine störenden Lichtreflexe, sondern verlieh den schwarzweißen Bildern den Eindruck lebendiger Realität. Rechts und links hingen an den Wänden anmutige Landschaften und Studien, welche die unauffällige, doch bezaubernde Schönheit des Drosdowka-Parks, der Weite des Flusses, des baufälligen Gutshauses zur Geltung brachten. Die Betrachter wanderten langsam an den Photographien vorbei, nickten beifällig und gelangten an die der Tür gegenüberliegende Wand, und hier erstarrten sie und gingen nicht weiter, so dass es dort sehr bald zum Stau kam.
Frau Lissizyna erreichte die geheimnisvolle Stelle als eine der ersten, sie stieß einen leisen Ruf aus und griff sich ans Herz.
Da hingen drei über einen halben Meter große Photos mit dem gemeinsamen Untertitel »An der Meeresbucht«. Jedes davon zeigte eine nackte Frau, allem Anschein nach jedes Mal dieselbe. »Allem Anschein nach« deshalb, weil das Gesicht der Posierenden nicht zu erkennen war. Auf dem linken Bild kauerte sie am Wasser, den Kopf gesenkt, die langen Haare mit eingeflochtenen Wasserpflanzen hingen herab. Auf dem rechten Bild lag die Frau mit dem Rücken zum Betrachter, den Arm über den Kopf gelegt; der Vordergrund war Sand, der Hintergrund das Wasser voller Blinklichter. Das mittlere Bild zeigte die Frau en face, sie stand bis zu den Hüften im Wasser und hielt die Hände vors Gesicht; auf dem nassen blonden Haar trug
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