Akunin, Boris - Pelagia 01
meine Herde zu verschlingen droht. Ich kann keinen unbeobachteten Schritt tun, mir sind die Hände gebunden, überall wimmelt es von Bubenzows Spähern, und man weiß nicht, wem man noch trauen kann. Schon haben sie ihm zugetragen, dass ich gestern mit dem Gouverneur und Berditschewski konferiert habe, das weiß ich zuverlässig. Ohne dich, Pelagia, komme ich nicht weiter. Du musst mir helfen. Wir werden den Brand von zwei Seiten her löschen. Wie im vorigen Jahr, als du mit mir in Kasan warst, um die geraubte Ikone Unserer lieben Frau von Athos zu suchen.«
So schloss der Bischof seine Rede. Er promenierte mit seiner geistlichen Tochter auf den Wegen des bischöflichen Parks, obwohl es ein trüber Tag mit Nieselregen war. So weit war es schon gekommen – der Bischof musste fürchten, in seinen eigenen Gemächern ein vertrauliches Gespräch zu führen. Die Wände hatten Ohren.
»Also soll ich wieder die Polina spielen?«, fragte die Nonne seufzend. »Ihr habt doch gelobt, es sei das letzte Mal. Ich sage das nicht, weil ich Angst habe, man könnte mich entlarven und mich aus dem Nonnenstand verweisen. Die Verstellung macht mir sogar Spaß. Aber gerade das fürchte ich. Die weltliche Verlockung. Diese Verkleidungen lassen mein Herz höher schlagen. Und das ist Sünde.«
»Das mit der Sünde soll nicht deine Sorge sein«, sagte Mitrofani streng. »Ich auferlege es dir als Kirchenbuße, und ich habe es zu verantworten. Das Ziel ist edel, und das Mittel, wenngleich ungesetzlich, ist nicht unehrenhaft. Gehe zu Schwester Emilia und sage ihr, dass ich dich ins Euphemienkloster schicke. Du fährst aber mit dem Dampfer bis Jegorjew, gibst dir dort das erforderliche Aussehen und kommst übermorgen hierher zurück. Ich werde dich in die Häuser einführen, in denen Bubenzow verkehrt – bei Graf Gawriil Alexandrowitsch, beim Gouverneur und seiner Gattin und bei den anderen. Dann musst du weitersehen. Da hast du.« Er gab Pelagia einen Lederbeutel. »Die Toiletten bestellst du bei Leblanc, der hat auch Parfüms und Lippenstifte und was du sonst noch brauchst. Und deine roten Zotteln lässt du dir frisieren wie in Kasan, mit solchen Korkenzieherlocken. Und nun geh mit Gott.«
Quartier nahm Pelagia – nein, nicht Pelagia, sondern die junge Moskauer Witwe Polina Andrejewna Lissizyna – bei der Obristenwitwe Antonina Iwanowna Grabbe, einer alten Freundin Mitrofanis. Die alte Frau wusste nichts von der Verkleidung, nahm aber die Besucherin freudig auf und brachte sie komfortabel unter, und alles wäre wunderbar gewesen, hätte sich die herzensgute Frau nicht in den Kopf gesetzt, die nette, unglückliche Dame so bald wie möglich unter die Haube zu bringen.
Daraus erwuchsen der Konspirantin zahlreiche Peinlichkeiten. Die Obristenwitwe bat fast jeden Tag junge und weniger junge Herren ledigen oder verwitweten Standes zum Tee, und sie alle bekundeten, zur größten Verlegenheit Polina Andrejewnas (nennen wir sie so), lebhaftes Interesse für ihre weiße Haut, ihre glänzenden Augen und ihre Frisur »Bronzehelm«: oben glatt und gescheitelt, am Hinterkopf gewellt und an den Seiten je drei Korkenzieherlocken. Es kam sogar zu Rivalitäten. So erschien der Ingenieur Surkow, ein gut aussehender Mann, mit einem gewaltigen Strauß Chrysanthemen, der Gymnasialinspektor Poluektow aber gleich mit einem ganzen Korb voll, worauf der Erste auf den Zweiten den ganzen Abend eifersüchtig war.
Schwester Emilia, die, bevor sie den Schleier nahm, dreimal Braut gewesen war und sich daher als große Kennerin männlicher Gepflogenheiten ansah, hatte die Nonnen belehrt, dass die Männer Aufmerksamkeiten bestimmter Art (so sagte sie: »Aufmerksamkeiten bestimmter Art«) nicht allen Frauen erwiesen, sondern nur solchen, die gewisse Signale aussendeten, mitunter sogar ungewollt. Das könne ein Blick sein, ein plötzliches Erröten oder ein kaum wahrnehmbarer Geruch, für den Männernasen äußerst empfänglich seien. Dieses Signal bedeute: Ich bin zu haben, ihr könnt euch mir nähern. Zum Beweis führte Emilia, die unter anderem auch Naturkundelehrerin war, Beispiele aus dem Leben der Tiere an, hauptsächlich der Hunde. Christina, Olimpiada, Am-wrossia und Apollinaria lauschten ihr mit angehaltenem Atem, da sie in der Welt keine Gelegenheit gehabt hatten, männliche Gepflogenheiten kennen zu lernen. Pelagia hingegen hörte traurig zu, denn in der Rolle der Madame Lissizyna hatte sie Erfahrungen gesammelt, die ihr zeigten: Ja, sie sendete Signale aus,
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