Akunin, Boris - Pelagia 01
war von Bubenzow nicht zu erwarten. Berditschewski setzte seine ganze Hoffnung auf das Verhör von Bubenzows Spießgesellen Selig und Dshurajew. Man musste jeden einzeln bearbeiten, vielleicht ergaben sich irgendwelche Widersprüche, Angriffspunkte, Fäden, an denen man ziehen und womöglich das ganze Knäuel entwirren konnte.
Ein Fluchtversuch wäre gut, noch besser Widerstand bei der Verhaftung, träumte Berditschewski vor sich hin, als sie schon zur Festnahme fuhren.
Für alle Fälle – immerhin ging es um die Verhaftung eines Mörders – hatten sie die Operation nach allen Regeln der Kunst vorbereitet. Lagrange hatte drei Dutzend Polizisten zusammengeholt, ihnen befohlen, die Revolver zu fetten, und höchstselbst überprüft, ob sie noch wussten, wie man damit schießt. Bevor sie losfuhren, hatte der Polizeimeister einen richtigen Plan auf Papier gezeichnet.
»Der Kreis hier, Matwej Benzionowitsch, ist der Platz. Die punktierte Linie ist die Umzäunung, dahinter der Hof des › Großfürsten ‹ . Das große Quadrat ist das Hauptgebäude des Hotels, das kleine der Generalsflügel. Bubenzow ist dort, meine Männer haben das überprüft. Die Hälfte der Leute stelle ich auf den Platz, die übrigen verstecken sich hinter der Umzäunung. Hinein gehen nur wir beide und noch zwei, drei Männer . . .«
»Nein«, unterbrach ihn Berditschewski. »Ich gehe allein hinein. Wenn wir mit solch einer Meute anrücken, sehen sie uns durchs Fenster und vernichten, Gott behüte, die Beweise, die ich dort zu finden hoffe. Ich tue so, als wollte ich Bubenzow eine Visite abstatten. Dann sage ich ihm, dass der Gouverneur ihn umgehend zu sprechen wünsche. Aber sowie ich mit ihm auf den Hof herauskomme, nehmen wir den Guten fest. Sollte etwas schief gehen, rufe ich, damit Sie mir zu Hilfe kommen.«
»Warum wollen Sie Ihre Kehle anstrengen?« Der gezähmte Lagrange schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Da haben Sie meine Trillerpfeife. Pfeifen Sie, und schon stehe ich vor Ihnen, wie aus der Erde gewachsen.«
Doch außer sachlichen Erwägungen hatte Berditschewski auch persönliche Gründe, Bubenzow eigenhändig zu ergreifen. Er wollte dem infamen Petersburger gar zu gern den denkwürdigen Nasenstüber heimzahlen. Voller Vorfreude, unwürdig eines Christenmenschen, aber darum nicht weniger süß, malte er sich aus, wie Bubenzows hochmütige Visage erbleichte und sich verzerrte, wenn er, Berditschewski, lässig hinwerfen würde:
»Legen Sie, bitte schön, die Hände auf den Rücken. Ich erkläre Sie für verhaftet.«
Oder noch besser, in weltmännischem Ton:
»Sehen Sie, mein Herr, Sie sind verhaftet. Wie fatal.«
Doch als er nun allein den Hof überquerte, war ihm nicht wohl. Im Bauch krampfte es, und die Kehle war trocken.
Um sich Mut zu machen, blieb er kurz auf der Vortreppe des Flügels stehen. In dem schmucken eingeschossigen Häuschen befand sich das beste Appartement des Hotels, vorgesehen für hochmögende Personen, die in staatlichem Auftrag das Gouvernement bereisten, desgleichen für Wohlhabende, die es als anstößig empfanden, mit den übrigen Hotelgästen unter einem Dach zu nächtigen.
Die Stores im Flügel waren zugezogen, und Berditschewski bekam einen Schreck – womöglich hatte sich Lagrange geirrt, und Bubenzow war gar nicht da?
Die Angst um das Gelingen des Plans vertrieb die nervliche Schwäche, und Berditschewski, der eigentlich erst läuten wollte, stieß einfach die Tür auf und ging hinein.
Von der Diele kam er in ein großes Zimmer, voll gestellt mit offenen Truhen und Koffern. An einem Tisch saßen Selig und Dshurajew und schoben auf einem Brett weiße und schwarze Steine hin und her. Wahrscheinlich Nardy, mutmaßte Berditschewski, der nur Schach und Preference gelten ließ.
»Melden Sie Herrn Bubenzow, dass der steilvertretende Staatsanwalt Berditschewski ihn unverzüglich zu sprechen wünscht«, sagte er in eisigem Ton zu dem Sekretär.
Der verneigte sich ehrerbietig und verschwand hinter der Tür, die zu den inneren Gemächern führte. Der Tscherkesse warf einen flüchtigen Blick auf den Besucher und starrte wieder auf das Brett, wobei er Unverständliches vor sich hin brabbelte. Bemerkenswert war, dass der Wilde nicht einmal im Raum die Pelzmütze und den Dolch ablegte.
Selig kam zurück und sagte:
»Wenn ich bitten darf.«
Bubenzow saß missgelaunt am Tisch und schrieb etwas. Er erhob sich nicht und grüßte nicht. Nur für einen Moment riss er den Blick vom Papier und fragte:
»Was
Weitere Kostenlose Bücher