Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
reglos neben dem Eingang. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten durch die Nacht.
Mogwied sammelte alles Geschirr in einen Sack, ergriff sein eigenes Bündel und wandte sich an den Og’er. »Wo ist dieser Bach?«
Tol chuk streckte den Arm aus. »Hinter dem Felsblock dort. Das Wasser ist nicht tief.«
Mogwied zögerte. Da Mond und Sterne von Wolken verdeckt wurden, war es außerhalb der Höhle stockfinster. »Irgendwelche Og’er?« fragte er ängstlich und spähte ins Freie.
»Nur ein halber«, murmelte Tol chuk und deutete auf sich selbst.
Mogwied tätschelte ihm tröstend den Arm. »Du hast keinen Grund, dich zu schämen«, versicherte er seinem großen Freund. »Und ich auch nicht«, sagte er flüsternd zu sich selbst und zu dem Wolf, den er in sich trug. Es war nicht allein meine Schuld.
»Ich passe auf dich auf«, versprach Tol chuk.
Mogwied nickte, nahm den Sack mit dem schmutzigen Essgeschirr und den Töpfen über die eine und sein eigenes Bündel über die andere Schulter und stieg die mit losem Geröll bedeckte Böschung hinab. Als ihm die Last unbequem wurde, befahl er seinen Arm und Rückenmuskeln, sich zu verschieben und anzuschwellen. Beruhigt spürte er, wie sich das Gewebe erwärmte und in Fluss geriet.
Trotz aller Nachteile war es ein wunderbares Gefühl, sich wieder wie ein Si’lura verhalten zu können. Volle Transformationen wie die Verwandlung vom Wolf zum Menschen und wieder zurück waren anstrengend, aber kleinere Veränderungen gelangen wie von selbst und ermüdeten ihn kaum.
Sein derzeitiger Körper war ihm so bequem wie ein ausgetretener Schuh. Er trug diese Gestalt schon so lange, dass sie mit einer Wagenspur in einer Piste zu vergleichen war man rutschte leicht hinein und blieb ebenso leicht darin. Aber seit er seine Fähigkeiten wiedererlangt hatte, konnte er kleine Verbesserungen vornehmen. Er legte sich eine wärmende Fellschicht über die kalten Wangen und machte seine Augen so empfindlich, dass er auch im Dunkeln sehen konnte. Vielleicht ist der Fluch doch nicht so schlimm, wie ich zunächst dachte …
Hinter dem Felsblock entdeckte er den kleinen Bach. Er war nur einen Schritt breit und plätscherte durch eine flache Felsrinne. Mogwied legte seine Lasten ab: Den Sack mit dem schmutzigen Geschirr ließ er klappernd zu Boden fallen, mit seinem eigenen Bündel ging er vorsichtiger um. Nachdem er sich mit einem Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass der Felsblock zwischen ihm und dem Og’er war, hockte er sich nieder.
Zufrieden schloss er die Lider, wandte sich nach innen und suchte nach Ferndals Blick. Den hatte er in den vielen Monaten seit ihrer Verschmelzung zuverlässig zu erkennen gelernt. Wenn sein Bruder wach war, spürte er ein eigentümliches Kribbeln im Nacken, als würde er von einem Fremden beobachtet. Jetzt nahm er nichts dergleichen wahr. Er lächelte. Ferndal war wie üblich sofort eingeschlafen. Nach dem langen Marsch war er vermutlich ebenso müde wie die anderen und kaum daran interessiert, seinem Bruder beim Scheuern der Essnäpfe zuzusehen.
Mogwied war unbeobachtet. Bevor er sein Bündel öffnete, überzeugte er sich, dass der Lederriemen, den er beim letzten Mal sorgfältig verknotet hatte, noch genauso aussah. Der Knoten wirkte unberührt: Niemand hatte in seinen persönlichen Sachen gewühlt.
Er lächelte. Ferndal lief fast die ganze Zeit als Wolf herum und kümmerte sich nicht weiter um Mogwieds Gepäck und auch die anderen interessierten sich nicht dafür. Der Inhalt, lauter Dinge, die er auf seinen langen Reisen durch die Lande zusammengetragen hatte, gehörte ihm allein.
Mogwied begann, in seinen Kleidern zu wühlen, die obenauf lagen. Darunter fand er eine zerrissene Eisenkette mit Halsband von einem Schnüffler, den Tol chuk vor langer Zeit in diesen Bergen getötet hatte, und einen kleinen Ziegenlederbeutel mit ein paar Strähnen von Elenas rotem Haar. Eine schimmlige Walnuss war ihm noch im Weg, dann ertastete er in der untersten Ecke einen in Stoff gewickelten steinernen Gegenstand. Den zog er heraus.
Er setzte sich auf die Fersen zurück, legte das Päckchen auf einen flachen Felsen und zog die Falten des Tuchs auseinander. Die Schwarzsteinschale saugte noch das letzte bisschen Licht im Schatten des Felsblocks ein. Noch einmal schaute Mogwied sich um, ob ihm auch wirklich niemand zusah.
Dann erst widmete er sich dem Kleinod. Die Schale hatte ursprünglich Vira’ni gehört der Spinnenhexe. Mogwied fuhr mit dem Finger am Rand
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