Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
nicht. Wir bleiben in diesem Kristall zwischen den beiden Welten gegenwärtig, um dir mit unserem Rat zur Seite zu stehen, so gut wir es vermögen.«
Tol chuk schüttelte störrisch den Kopf.
Die Stimmen der Geister wurden schärfer. »Willst du dich deiner Pflicht entziehen, wie es dein Vorfahr einst tat?«
Tol’chuks Kopf ging ruckartig in die Höhe.
Die Stimmen fuhren in ruhigerem Ton fort. »Es ist die Wahrheit. Der Eidbrecher weigerte sich, den Mantel des Clansführers anzulegen. Willst du seinen Weg gehen oder deinen eigenen?«
Wieder legte sich tiefe Stille über die Höhle. Endlich erhob sich Tol chuk, beugte sich über die Leichen und holte das Kleinod zwischen den Gliedmaßen hervor. Es flammte hell auf, als hätte es ihn erkannt.
»Die Versammlung der Clans tritt noch in dieser Nacht zusammen«, kam es von den Geistern. »Geh hin, und übernimm die Führung über die Stämme. Unser Volk geht dunklen Zeiten entgehen. So gewunden ist der Pfad, dass nicht einmal wir bis an sein Ende sehen können. Doch das Herz wird dich führen.«
Damit lösten sich die Gestalten wieder auf und zogen sich in den Stein zurück. Nur die Stimmen waren noch immer zu hören: »Es ist wie bei deiner letzten Reise. Du kennst den ersten Schritt … Du weißt, wohin du zu gehen hast.«
Tol’chuks Züge verhärteten sich.
Jaston sah, wie ihr Gefährte begriff und er sah die Angst in seinen bernsteinfarbenen Augen.
Tol chuk starrte auf die Kristallflächen des Herzsteins; der letzte Angehörige der Triade verschwand. Die Haken, die sich in den Tiefen seines Herzens eingegraben hatten, waren ihm vertraut. Der Stein hatte ihn durch ganz Alasea geführt und ihm den Weg zu dem ausgehöhlten Berg in Gul’gotha gewiesen. Diesmal allerdings zog er ihn nicht in eine bestimmte Richtung. Tol chuk war nach wie vor mit dem Stein verbunden, doch künftig musste er selbst entscheiden, welchen Weg er nehmen wollte.
Das Schicksal des Og’er Volkes lag nun in seiner Hand. Ihr geht dunklen Zeiten entgegen. Tol chuk zweifelte nicht an der Wahrheit dieser Worte. Der Eidbrecher war noch am Leben. Das Ungeheuer würde sein Volk nicht ewig unbeachtet lassen, schon gar nicht, wenn sein eigener Nachkomme sich gegen ihn verschwor.
Tol chuk ließ den Stein sinken und schaute über die Leichen der Triade hinweg auf seine knienden Stammesgenossen: Männchen und Weibchen, Alte und Junge, Starke und Schwache. Sie wussten nichts von der Welt jenseits ihres Landes, nichts von der Gefahr, die vor ihren Höhlen lauerte.
Tol chuk richtete sich auf. Er machte keine Anstalten mehr, seinen Halbblutstatus zu verbergen. Früher hatte er sich dafür geschämt, jetzt war das alles unwichtig geworden. Er hatte auf seiner langen Reise bei Völkern aller Länder so viele Gräueltaten, aber auch so viel Heldenmut erlebt, dass eine Eigenschaft wie reines Blut daneben zur Bedeutungslosigkeit verblasste.
Die Triade hatte ihm bestätigt: Er war ein Og’er. Dies war sein Volk. Und es war an der Zeit, dass er es aufrüttelte.
Sein Blick fiel auf Hun’chua. Der Sprecher der Krieger hielt den Kopf gesenkt. »Hun’chua«, sagte Tol chuk. »Erhebe dich.«
Der Og’er gehorchte, sah ihn aber nicht an.
»Ich brauche deine Jäger. Sie sollen die Toten in die Kammer der Geister bringen.«
Der andere stieß ein Knurren aus; einige der Umstehenden machten sich daran, die Leichen behutsam fortzuschaffen. Hun’chua wandte sich an Tol chuk. »Was ist mit der Versammlung, die einberufen wurde?«
Tol chuk runzelte die Stirn. Der Krieger hatte Recht. Die anderen Stämme würden sich am Drachenkopf einfinden, ohne zu wissen, was sich hier ereignet hatte. Auch sein eigener Clan, die Toktala, musste dort erscheinen. Er winkte Hun’chua zu sich. »Die Unseren sollen sich sammeln. Bei Sonnenuntergang brechen wir auf.«
Hun’chua sah ihn mit funkelnden Augen an. »Die Triade hat die Stämme zusammengerufen, und sie ist nicht mehr. Wer wird nun zu ihnen sprechen?«
Das hatte Tol chuk noch nicht bedacht.
Hun’chua deutete auf ihn und beantwortete seine Frage selbst. »Die Ältesten sagten, du wärst der Eine. Du musst die Versammlung leiten.«
Tol chuk wollte widersprechen, aber er fand keinen triftigen Grund. Die Triade hatte ihm keine Möglichkeit offen gelassen, sich seiner Pflicht zu entziehen. Noch in dieser Nacht musste er in Gegenwart aller Clans den Mantel des geistigen Führers anlegen.
Seine Finger schlossen sich fester um den Herzstein. »Wenn ich zu den Stämmen
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