Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
kauerte.
Krah’nock wagte nicht, in ihr kaltes Antlitz zu schauen. »Herrin Vira’ni.«
Am Feuer zuckte Mama Freda zusammen und ließ ihren Gehstock fallen.
»Freda, was hast du?« fragte Jerrick neben ihr.
Sie winkte ab, die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Die anderen hatten ihr von der Spinnenhexe erzählt, jener Bösewächterin, die sie in den Wäldern unterhalb der Berge getötet und begraben hatten. Aber tote Bösewächter blieben nicht immer tot. Wie schon Rockenheim, so war offensichtlich auch die Spinnenhexe wieder zum Leben erweckt worden und hatte eine neue Gestalt bekommen.
»Du wirst mich zum Drachenschädel bringen«, flüsterte sie mit öliger, giftgeschwängerter Stimme. Dann zeigte sie auf die Bäume ringsum. »Rufe deine Stammesbrüder. Wir müssen auch die Eier Säcke mitnehmen.«
Krah’nock hob den Kopf. Tikal und Mama Freda folgten seinem Blick. An den Ästen hingen Dutzende von schweren Seidenbeuteln von der Größe reifer Kürbisse. Darin wimmelte es von zappelnden schwarzen Klümpchen, die nur darauf warteten, den schützenden Kokon zu verlassen.
Der Og’er erzitterte bei dem Anblick und war zu keiner Bewegung fähig.
»Meine Kinder haben das Blut dieses Tol chuk bereits einmal gekostet«, fuhr Vira’ni fort. »Diesmal werden wir in seinem Körper und in den Leibern seiner Helfer ein Festmahl veranstalten.«
»Ja, Herrin.« Krah’nock stand auf. Die Spinnenkönigin hob den Kopf mit den überscharfen Augen. Ihr Blick wanderte zum seidenumsponnenen Blätterdach, hielt inne und sah Mama Freda direkt an.
»Wir werden beobachtet!« zischte Vira’ni und deutete nach oben.
»Tikal! Lauf!« schrie Mama Freda.
»Was ist?« fragte Jerrick und packte sie an der Schulter.
Mama Freda fand keine Zeit zu einer Antwort. Ihr kleiner Tamrink raste in heller Panik durch die Bäume, und sie bemühte sich verzweifelt, etwas von ihrer Energie auf ihn zu übertragen. Mit einem Mal fuhr es ihr wie ein Messerstich durch die Brust. Sie keuchte auf.
Auch ihr kleiner Freund spürte den Schmerz. Er sprang zu kurz, stürzte in die Tiefe, prallte gegen einen Ast und brach sich ein Beinchen. Dann schlug er so hart auf dem Boden auf, dass ihm die Luft weg blieb.
Mama Freda konnte selbst kaum atmen, aber sie nahm ihre letzten Kräfte zusammen und schickte sie dem Tamrink.
Tikal richtete sich auf, stützte sich auf sein heiles Bein und schnatterte verängstigt und unter Schmerzen: »Tikal braves Tierchen, schnell, schnell.«
Das Feuer in Mama Fredas Brust griff jäh auf Arme und Beine über. Sie stürzte und merkte kaum, wie Jerrick sie auffing. Im Geiste und mit ihrem schwachen Herzen war sie bei Tikal. Lauf, mein Kleiner, lauf!
»Lauf, lauf«, wiederholte er laut im viel zu weit entfernten Wald.
Der Tamrink zog das verletzte Bein an, stieß sich mit den Händchen ab und sprang mit dem gesunden Bein und mit wehendem Schwanz in langen Sätzen davon.
Lauf, und versteck dich … Nur weiter, mein kleiner Liebling. Der Schmerz war so stark geworden, dass er ihr den Atem nahm.
Tikal flog förmlich durch die Wälder da plötzlich legte sich etwas um sein Bein und hielt ihn fest. Er stürzte zu Boden.
Wild zappelnd, suchte er sich zu befreien. Mama Freda sah, was geschehen war. Eine Schlinge hatte sich um sein Bein gewickelt, und er wurde trotz hektischer Gegenwehr zu ihrem Ausgangspunkt zurückgezogen. Am Ende des Pfades lauerte geduckt, mit gespreizten Beinen, ein hasserfülltes Grinsen im Gesicht Vira’ni, die Spinnenkönigin.
Eine Welle winziger roter Spinnen strömte unter ihren Beinen hervor auf den kleinen Tikal zu. Das Tierchen wehrte sich und bemühte sich verbissen, mit seinen nadelspitzen Zähnen die Fessel zu durchtrennen.
Tikal!
Als er endlich freikam, war der Ruck so heftig, dass er sich überschlug. Er machte hastig kehrt und sprang auf einen tief hängenden Ast zu. Mama Freda spürte erleichtert, wie sich seine Finger um das Holz schlossen.
Doch der Ast war nicht mehr frei.
Kleine Spinnen krochen von der Rinde auf Tikals Finger und sein dünnes Ärmchen. Als sie zubissen, spürte Mama Freda den Schmerz noch stärker als den Krampf in ihrem Herzen. Der kleine Tamrink stürzte abermals zu Boden und landete mitten in der Spinnenschar.
»Tikal!« schrie Mama Freda, als die Woge über ihm zusammenschlug.
»Mama, Mama …«
Sein tapferes Herzchen zog sich zusammen und blieb stehen … und im gleichen Augenblick hörte auch Mama Fredas Herz zu schlagen auf.
In der Höhle bäumte sich
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