Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
mit jedem Schritt durchdringender. Sie umklammerte den Gehstock fester.
Krah’nock blieb stehen und winkte den anderen zurückzubleiben. Niemand widersprach. Der knorrige Og’er zog sich unruhig den Wolfspelz zurecht und entfernte sich von der Gruppe.
Lautlos wies Mama Freda den Tamrink an, dem einzelnen Og’er zu folgen. Tikal verließ den Pfad und huschte lautlos am Haupttrupp vorbei. Dann erkletterte er einen Baum und sprang von Wipfel zu Wipfel. Der Wald war hier so dicht, dass sich die Baumkronen lückenlos aneinander drängten. Krah’nock schlich immer tiefer in den dunklen Wald hinein, aber der kleine Tamrink verlor ihn niemals aus den Augen.
Blitze zuckten über den Himmel. Ein Regenschauer prasselte auf Laub und Nadelbäume nieder. Tikal ging tiefer, nicht nur, um halbwegs vor der Nässe geschützt zu sein, sondern auch, um dem Og’er im immer dichteren Geäst auf den Fersen bleiben zu können.
Krah’nock wurde langsamer und sah sich um. Er wirkte gehetzt. Der Geruch seines Angstschweißes hing schwer in der Luft.
Aus dem Schatten einer Baumgruppe ertönte eine vor Bosheit und Heimtücke triefende Stimme. »Bringst du mir Tol’chuks Kopf?« Zu Mama Fredas Verwunderung verwendete sie die allgemeine Sprache und nicht die der Og’er.
»Nein, Herrin.« Krah’nock fiel auf die Knie, seine Stimme zitterte. »Der Mörder meines Bruders ist noch am Leben. Der Dämon arbeitet weiter mit seinen Gauklertricks. Diesmal setzt er sie ein, um seine Stammesgenossen umzustimmen.«
»Und dein Pakt mit dem Toktala Clan? Sie haben doch ihr Versprechen gegeben!«
Krah’nock senkte den Kopf. »Hun’chua, ihr Anführer, ist wankend geworden. Aber die Ku’ukla sind zum Angriff bereit. Ein Wort von dir genügt. Wir versammeln uns bereits am Nordwald.«
Die Stimme schwieg lange. Krah’nock kniete zitternd im nassen Laub.
»Nein«, flüsterte sie endlich. »Wir werden sie nicht in ihren eigenen Höhlen angreifen. Ich habe von der Versammlung gehört, die für heute Nacht an dem Ort einberufen wurde, den ihr Drachenschädel nennt.«
Krah’nock nickte. »Ja, Herrin.«
»Dort werden wir sie überfallen. Und merke dir, ihr habt mich oft genug enttäuscht, zuerst dein Bruder, dann du selbst. Weitere Fehler dulde ich nicht mehr.«
»Nein, Herrin.«
»Diesmal werde ich sichergehen, Krah’nock. Komm zu mir.«
Der Og’er erschauerte, doch er erhob sich und schlurfte zögernd vorwärts.
Mama Freda drängte Tikal, ihm zu folgen. Wer lauert dort im Wald?
Der Tamrink und der Og’er näherten sich einer Lichtung. Mama Freda sah es weiß durch die Äste schimmern, als wäre nur über diesem Bereich des Waldes ein Schneesturm niedergegangen. Flaumiger Raureif lag auf den dunklen Zweigen und türmte sich auf schemenhaft erkennbaren Büschen. Sogar auf dem Waldboden hatten sich weiße Haufen gebildet, die an Schneewehen erinnerten.
Was ist denn das?
Krah’nock schlich an den Rand der seltsamen Lichtung. Tikal folgte ihm in den Wipfeln.
Mama Freda spähte mit den scharfen Augen des Tamrink hinab. Jetzt sah sie, dass der schneebedeckte Wald dicht bevölkert war. Winzige rote Spinnen huschten zu tausenden über die weißen Hügel und tanzten an dünnen Fäden entlang.
Das ist kein Schnee, erkannte sie mit wachsendem Entsetzen, das sind Netze. Die ganze Lichtung war eingesponnen in weiße Fäden, die sich zu dicken Klumpen zusammenballten und alles zu ersticken drohten.
Krah’nock hockte vor einem riesigen Spinnennetz.
In dessen Mitte regte sich ein dunkler Fleck. Ein haariges Bein von blutroter Farbe bohrte sich durch das Gespinst und zerschnitt mühelos die Seidenfäden. Ein zweites Bein kam zum Vorschein … ein drittes … Und dahinter folgte ein Albtraum, wie ihn Mama Freda sich grauenhafter nicht vorstellen konnte. Eine Riesenspinne, so groß wie ein Og’er und so dunkelrot, dass sie fast schwarz wirkte, erhob sich aus dem Nest in der Mitte und huschte auf acht Beinen über die Fäden. Dabei reckte sich der glänzende, kugelförmige Hinterleib in die Höhe und drückte neue Seide aus den Spinndrüsen an seiner Unterseite.
Doch das war noch nicht das Schlimmste.
Auf dem angeschwollenen Hinterleib saß, so hell, wie die andere Hälfte dunkel war, der Oberkörper einer Frau. Langes blauschwarzes Haar hing ihr über die nackten Brüste, auf denen sich winzige rote Spinnen tummelten. Sie streifte sie behutsam mit den Händen ab, indes ihre Aufmerksamkeit ganz und gar dem Og’er galt, der vor ihr
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