Alaska
die Beamten war es ein Tag, an dem einer Eingeborenen der Eintritt in die russische Gesellschaft gestattet wurde. Für das Mädchen war damit die böse Zeit des Heidentums ein für allemal vorbei, die helle neue Zeit des orthodoxen Glaubens brach an, und man setzte voraus, dass sie dankbar für die Verbesserung ihrer Stellung sein würde.
Sogar Rudenko wurde mit anderen Augen betrachtet. Er war nicht mehr der brutale Strafgefangene, den man in die Verbannung auf die Aleuten geschickt hatte, oder der von den Robbeninseln Entflohene, sondern der Mittler, der eine wichtige Mission der Zarin erfüllte, die Heimführung einer heidnischen aleutischen Seele in die Christenheit. Er schwelgte in diesem neu erworbenen Ansehen und führte sich ganz wie ein echter russischer Siedler auf.
Pater Vasili war überwältigt von seinen Gefühlen, denn Sofia war die erste Aleutin, die er bekehrt hatte, überhaupt die erste Person auf dieser Insel, deren Übertritt zum Christentum ernst gemeint war. Doch war Sofia für ihn weit mehr als nur ein Symbol für die gewaltigen Veränderungen, die den Inseln bevorstanden; sie war ein bewundernswertes Geschöpf, ging siegreich aus Katastrophen hervor, die andere, weniger starke Menschen in den Wahnsinn gestürzt hätten, und besaß ein sicheres Gespür für das, was mit ihrem Volk geschah. Mit der Errettung dieser jungen Frau, sagte sich Vasili, als er sich dem Baldachin näherte, unter dem er stehen würde, wenn er die Hochzeitsmesse las, wird Russland eine der besten zugeführt. Dann, gekleidet in seinen schwarzen Rock, traute er sie.
Die russischen Matrosen sangen und tanzten, und die Beamten hielten Reden und beglückwünschten Sofia Rudenko zu ihrem Eintritt in ihre Gesellschaft und ihren Mann Yermak zu seiner Freilassung aus der Haft. Am dritten Tag der Feierlichkeiten wurde ihnen der Spaß jedoch durch den plötzlichen Auftritt des alten ungepflegten Schamanen verdorben. Er hatte seine Hütte verlassen, hatte sich auf das abgesperrte Gebiet der Handelsgesellschaft geschlichen und beschimpfte mit vor Erregung zitternder Stimme Pater Vasili, dass er eine solch infame Trauung vollzogen habe.
»Geh zurück, alter Trottel!« warnte ihn ein Wächter, aber es zeigte keine Wirkung, denn der störrische Alte setzte seine Beschuldigungen fort, bis Rudenko, verärgert über diese Unterbrechung seines Festes, auf dem er der Mittelpunkt war, auf den Schamanen zueilte und ihn anbrüllte: »Raus hier!« Und als der Alte mit seinem langen Zeigefinger auf den Bräutigam wies und auf Russisch schrie: »Mörder! Verführer! Schwein!«, wurde Rudenko so wütend, dass er mit den Fäusten auf in eindrosch. Er versetzte ihm mehrere harte Schläge, so dass Lunasaq ins Taumeln geriet und versuchte, sich an seinem Angreifer festzuhalten, dann aber in den Dreck stürzte.
Jetzt griff Sofia ein, drängte ihren Mann weg, kniete sich neben ihren früheren Ratgeber und schlug ihm sanft ein paarmal ins Gesicht, bis er wieder bei Bewusstsein war. Ihre Hochzeitsgäste vernachlässigend, begleitete sie ihn zu seiner Hütte, aber zu ihrer Überraschung verwendete sich Pater Vasili für ihn, legte den Arm um den zitternden Körper seines Feindes und brachte ihn in Sicherheit. Sofia sah zu, wie die beiden Arm in Arm fortgingen, spürte, dass sie zu ihnen gehörte, und wollte schon hinterherlaufen, als Rudenko, erzürnt über das, was geschehen war, und über die Beteiligung seiner Frau an dem Vorfall, sie heftig am Arm fasste , herumschleuderte und ihr ins Gesicht schlug, mit einer solchen Gewalt, dass jetzt sie im Dreck lag. Er hätte die am Boden Liegende noch getreten, wenn Leutnant Belov nicht dazugekommen wäre, ihr aufgeholfen und den Staub von ihrem Kleid abgeklopft hätte. Das dunkle Blut, das ihr am Kinn dort heruntertropfte, wo durch Rudenkos Faust das Fleisch um den Lippenpflock herum aufgeplatzt war, vermochte er aber nicht abzuwischen.
Yermak Rudenko wurde nicht dafür zur Rechenschaft gezogen, dass er seine Frau geschlagen und den Schamanen verprügelt hatte, denn für die meisten Russen waren Aleuten keine richtigen Menschen und gerade recht für härteste Bestrafungen. Im gesetzlosen Kodiak herrschte die Meinung vor, dass allen eingeborenen Frauen, ob Aleutin oder Kreolin, ein paar berechtigte Schläge ab und zu nicht schaden konnten, während man die Züchtigung des Schamanen als einen Dienst an der gesamten russischen Gemeinschaft ansah. Als Pater Vasili erfuhr, was Rudenko getan hatte, während er
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