Alaska
ihr Gott das so will.«
Die Mumie holte so tief Luft, dass es pfiff: »Wenn du dein Leben zerstörst, um seins zu retten, was wird damit erreicht?« Und Cidaq erklärte: »Es nennt sich Seelenheil - seins, nicht meins.«
Der Schamane war direkt und unerbittlich in seiner Ablehnung all dessen, wofür der junge Priester stand: »Die Interessen der Russen kommen immer an erster Stelle. Eine Aleutin wird geopfert, damit ein Russe glücklich wird - was für ein Gott ist das, der einen solchen Rat gibt?« Doch während er weitergeiferte, enthüllten sich Cidaq seine wahren Motive. Er hat Angst vor dem Priester, dachte sie bei sich, er weiß, dass die neue Religion sehr stark ist, aber trotz allem, ein Schamane wird wohl wissen, was am besten für uns Aleuten ist. Ehrfürchtig hörte sie seiner Hetzrede bis zum Schluss zu. »Schritt für Schritt werfen sie uns nieder, diese Russen. Die Handelsgesellschaft macht uns zu Sklaven, dann schicken sie ihre Priester, die uns versichern, dass alles nach dem Willen ihrer Geister geschieht. Und mit jedem Tag, Cidaq, sinken wir tiefer in den Morast.«
Die Art und Weise, wie der Schamane die Mumie verwendete, hatte die alten Gebeine mit eigenem Charakter und Geist ausgestattet, denn als er jetzt versuchte, die alte Frau nachzuahmen, wurde er selbst zu einer solchen und griff dabei auf seine vertrauten Erfahrungen zurück, wie Frauen dachten und sich ausdrückten: »Auf den Inseln dienten die Frauen ihren Männern, sie fertigten die Kleidung, sammelten Beeren und fischten, sangen, wenn die Männer auszogen, gegen einen Wal anzukämpfen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass wir weniger wert waren, nur eben anders und mit anderen Fähigkeiten. Welcher Mann kann schon ein Kind austragen? Aber dieser neue Glaube - ein Mädchen wie dich zu opfern, einem Tier wie Rudenko, damit er sich besser fühlt, das ist fürchterlich.« Sie lachte, was Cidaq überraschte. »Wir hatten einmal so einen Mann unter uns. Kommandierte alle herum. Schlug Frau und Kinder. Einmal, als er seinen Teil der Arbeit nicht geleistet hatte, war er schuld am Tod eines Mannes, eines guten Fischers.«
»Was habt ihr mit ihm gemacht?« fragte der Schamane, und die Alte antwortete: »In unserem Dorf lebte eine Frau, sie fing immer die meisten Fische und nähte die besten Fellhosen. Eines Morgens rief sie uns zusammen und sagte: › Wenn die Kajaks heute Abend zurückkommen, dann kommt ihr drei mit mir, seinen Fang zu entladene«
»Was ist passiert?« fragte Cidaq, und sie antwortete: »Er kam zurück. Wir wateten durchs Wasser, seinen Fang zu holen. Und auf ein Zeichen der Frau zogen sie und ich ihn aus dem Boot heraus und hielten seinen Kopf unter Wasser.« Sie berichtete das ohne jede Schadenfreude. »Manchmal ist das die einzige Möglichkeit.« Cidaq fragte: »Aber die anderen Fischer müssen euch doch gesehen haben?«
»Sie drehten sich um, schauten woandershin. Sie wussten , dass wir auch ihre Arbeit erledigten.«
»Und was soll ich tun?« fragte Cidaq, und die alte Frau erwiderte schwerwiegende Worte. »Wir leben in wirren Zeiten, mein Kind.« Aber dann merkte sie, dass die Antwort nicht reichte, und fügte noch hinzu: »Eines Abends, wenn die Kajaks heimkehren, wirst du wissen, was zu tun ist.«
»Soll ich es zulassen, dass sie mich mit ihm verheiraten?« Sie konnte nichts Falsches darin entdecken, sich solch moralischen Rat von dem Schamanen und der Mumie zu holen, denn sie fühlte sich noch immer als ein Teil ihrer Welt. Für die Anleitung in geistigen Dingen würde sie sich an ihren neuen Priester wenden, für die Unterweisung in derart praktischen Fragen jedoch weiterhin an ihren Schamanen.
Der Schamane witterte eine Gelegenheit, seine Macht über sie zu bekräftigen, stürzte sich förmlich auf ihre Frage: »Nein! Cidaq, sie benutzen dich für ihre Zwecke. Das ist unredlich und bedeutet den Untergang der Aleuten.« Er wollte um jeden Preis das kleine Universum der Aleuten erhalten, die See, die Stürme, die Walrosse, die Lachse, die den Strom aufwärts sprangen, und er rief: »Nicht Rudenko sollte in der Dämmerung ertränkt werden, sondern der Priester, der einen solchen Rat gibt. Er ist gekommen, uns zu vernichten.« Die Mumie jedoch gab einen anderen Rat: »Warte ab, was passiert. In all den Jahren habe ich oft erlebt, dass sich Schwierigkeiten von alleine lösen. Warte ab, und du wirst sehen.« Als Cidaq die Hütte verließ, wusste sie, dass der Schamane nur von diesem Jahr gesprochen hatte, den
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