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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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Kind auf dem Titelbild einer Zeitschrift gefangen nehmen lassen, und nie wieder sollte sie dieselbe sein.
    Seit einiger Zeit schon hatte sie das Gefühl, dass sie sich verändern musste , dass ihr Leben auf Dauer zu eintönig war und nur ein radikaler Wechsel sie vor einer einsamen, schäbigen und verzweifelten Existenz bewahren konnte. Die Verantwortung lag ganz in ihrer Hand, das gestand sie sich ein, aber ihre Mutter, eine zerstreute, verschreckte Frau, die zusammen mit Kendras Vater in Heber City, Utah, lebte, stand jeder Entscheidung im Weg. Die Scotts waren keine Mormonen, aber sie folgten der strengen Disziplin, die diese Religion den Menschen auferlegte, und als Kendra die High-School abschloss , schrieben die Eltern ihre Tochter, ohne sie selbst um ihre Meinung zu fragen, an der entsprechenden Universität in Provo ein, wo man die jungen Männer zu FBI-Agenten ausbildete und die Frauen zu gottesfürchtigen, gehorsamen Hausfrauen, jedenfalls glaubte Mrs. Scott das.
    Mit einundzwanzig legte Kendra ihr Lehrerexamen ab, erhielt eine Note etwas besser als der Durchschnitt und hatte die Wahl zwischen vier bis fünf angesehenen öffentlichen Schulen, an denen sie den Unterricht aufnehmen konnte. Jetzt galt es, sich erstmals gegen ihre Eltern durchzusetzen, denn eine der Schulen befand sich in Kamas, Utah, nur wenige Kilometer vom Elternhaus entfernt, und beide, Vater und Mutter, meinten, das sei die geeignete Schule für ihre Tochter, zumindest für die ersten fünf bis sechs Jahre ihrer Laufbahn, weil sie dann, wie Mrs. Scott hervorhob, an den Wochenenden nach Hause kommen könne.
    Aus einem zähen Widerstand heraus, der ihre Eltern überraschte und alarmierte, nahm Kendra, ohne sich vorher mit ihnen zu besprechen, eine Stellung an der Schule an, die am weitesten vom Elternhaus entfernt lag: in Grand Junction, jenseits der Landesgrenze, in Colorado. Anscheinend lag der Ort doch noch in erreichbarer Nähe zu Heber City, und während Kendras ersten Halbjahrs in der neuen Schule legte Mrs. Scott die Strecke von über 400 Kilometern insgesamt sechsmal zurück und fragte ihre Tochter an den Wochenenden über alles Mögliche aus, die Schwierigkeiten, die sie hatte, die befreundeten Kolleginnen und die wenigen Männer, die sie in der Schule oder der Stadt kennengelernt hatte. Mrs. Scott war der festen Überzeugung, die Männer aus Colorado seien draufgängerischer als die aus Utah, und sie gab ihrer Tochter den Rat, sich von ihnen fernzuhalten.
    Die Scotts mussten sich eingestehen, dass ihr Kind recht eigenwillige Vorstellungen entwickelte, worauf die Abendgebete vor dem Zubettgehen in Grand Junction eine leichte Veränderung erfuhren: »Allmächtiger Gott! Mach, dass deine Tochter deine Gebote nie vergisst . Schütze sie vor überheblichen, übereilten Urteilen, und hilf ihr mit deinem unermüdlichen Ratschluss , rein und gut zu bleiben.«
     
    Miss Deller, die Bibliothekarin, hatte Kendra die Februarausgabe des »National Geographie« an einem Dienstagmorgen hereingereicht, und während der folgenden drei Tage verfolgte die junge Lehrerin auf Schritt und Tritt das Bild des kleinen Mädchens im Schneesturm. Sie übergab das Heft nicht wie geplant ihren Schülern, sondern ließ es Mittwoch und Donnerstag auf ihrem Schreibtisch liegen und warf immer wieder mal einen Blick auf das Titelfoto. Donnerstagabend nahm sie das Heft mit nach Hause und las es, bevor sie sich schlafen legte, aufmerksam durch. Am nächsten Morgen stand sie früh auf, stellte die Zeitschrift neben ihren Schminkspiegel auf und fing an, Vergleiche anzustellen zwischen sich selbst und diesem außergewöhnlichen Mädchen. Klar und deutlich erkannte sie sich auf dem Glas: ohne jede Maske mit all ihren Blößen, den guten und schlechten Seiten. Und immer wenn sie sich wieder das Kind im Schneesturm ansah und sich selbst daneben stellte, dann musste sie sich das schmerzliche Eingeständnis machen, dass sie nicht mithalten konnte, dass sie nur Zweite war.
    »Ich bin intelligent, habe immer gute Noten nach Hause gebracht, und ich weiß, dass meine Beiträge zu Gruppenprojekten geschätzt werden. Ich meine, ich bin kein Trottel, kein Einzelgänger und auch nicht irgendwie krank im Kopf. Und auch wenn ich nicht gerade wie ein Covergirl aussehe, abstoßend finde ich mich nicht. Die Männer schauen mir sogar ab und zu hinterher, und ich glaube, wenn ich ein bisschen mutiger wäre ... Na ja, nichts Halbes und nichts Ganzes. Gutes Aussehen, gute Figur, nur das Haar

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