Alaska
Sitte der Eskimos, aber Kendra rief wütend: »Das Mädchen ist begabt. Sie könnte alles erreichen. Ich habe der University of Washington geschrieben, und sie haben großes Interesse gezeigt. Sie würden sie sogar schön mit sechzehn einschreiben, wenn sie wirklich so intelligent ist, wie ich behauptet habe.« Ihre Stimme ging über in ein klagendes Jammern: »Mr. Afanasi! Verurteilen Sie Amy nicht zu einem Leben in Finsternis!« Ihre Bitte war umsonst. Amy wurde zu Hause gebraucht, und das hatte Vorrang vor allen anderen Überlegungen.
An dem Tag, als das so liebenswürdige und ungewöhnlich talentierte Kind die Schule verließ, begleitete Kendra sie noch ein paar Kilometer über die kalte Tundra, wo kein Baum blühte, nicht einmal eine winzige Blume aus dem Boden wuchs. Als sie sich trennten, schloss sie zum Abschied das Mädchen in die Arme und drückte es fest an sich. Sie kämpfte mit den Tränen: »Amy, du weißt selbst, dass du einen klugen Verstand hast. Du hast in der Schule gesehen, dass du über besondere Fähigkeiten verfügst. Soll ich dir die Wahrheit sagen? Ich war längst nicht so weit wie du in deinem Alter. Du könntest alles erreichen. Ich bitte dich bloß, lies die Bücher, die ich dir mitgegeben habe. Fang etwas mit deinem Leben an. Mach irgendetwas .«
»Was?« fragte das Mädchen teilnahmslos, und Kendra antwortete: »Man weiß nie, Kendra. Aber wenn uns etwas am Leben liegt, dann wird sich schon etwas ergeben. Sieh mich an, Amy. Was um alles in der Welt hat mich nach Desolation verschlagen? Wohin wird es dich eines Tages verschlagen? Wer weiß? Aber du darfst nicht stehenbleiben. O Amy ...« Es gab noch Tausende anderer wichtiger Dinge, die sie dem Mädchen in ihren letzten gemeinsamen Augenblicken mitteilen wollte, aber sie war nur dazu fähig, sich zu ihr hinunter zu beugen und ihr rundes braunes Gesicht zu küssen, ein Akt, den Amy ohne jegliche Regung über sich ergehen ließ.
Die nächsten beiden Wochen waren bitter kalt, als wäre mitten im Frühling noch einmal der Winter eingekehrt, und Kendra fühlte sich im Geiste so einsam und verlassen wie die sturmgebeutelte Landschaft, denn sie musste beobachten, wie sehr sie und Kasm Hooker sich in ihrer Schule auch bemühten und ihre Kinder anspornten, immer wieder bestimmte die harte Realität des Eskimolebens die Grenzen dessen, was erreicht werden konnte. Eines Abends lud sie Afanasi und Hooker zu sich in ihr Apartment, um sich mit ihnen einmal über dieses Problem zu unterhalten.
Sie begann mit einer Frage, die sie schon lange beschäftigte: »Mr. Afanasi, wie kommt es, dass Sie der einzige Eskimo in Desolation sind, der eine gewisse Weitsicht hat ... das heißt, nein, der einzige, der auch nur bis an die Grenzen Alaskas blickt?«
»Ich hatte einen guten Großvater, der mir beigebracht hat, was man tun darf, und einen Vater und einen Onkel, die mir gezeigt haben, was man nicht tun soll.«
»Wie sollen Kasm und ich jemals junge Menschen heranziehen, die Ihre Weitsicht und Ihre Fähigkeiten haben?«
»Es ergibt sich durch Zufall, glaube ich. Bei Amy Ekseavik hätten Sie die Möglichkeit gehabt. Bei Jonathan Borodin ... Sie wissen ja, er hätte das Zeug, das zu werden, was ich jetzt bin. Fähig, sich in der Welt der Weißen zurechtzufinden, aber auch eine tragende Säule in seinem Eskimodorf zu sein. Irgendwie sind wir bei ihm gescheitert, und das einzige, was er jetzt beherrscht, ist sein Schneemobil.«
»Er hat mir erzählt, er wollte Schamane werden - nach der alten Tradition, aber einer, der bereit ist mitzuarbeiten.«
Afanasi vernahm diese Neuigkeit mit großem Interesse: »Keine schlechte Idee, ganz und gar nicht. Ich denke schon seit einiger Zeit, dass mit den ganzen Zwängen des modernen Lebens, dem Fernsehen, dem Schneemobil und dem ganzen Lärm der Schamanismus, so wie ihn mein Vater noch gekannt hat, vielleicht Wiederaufleben könnte.« Er erhob sich, ging in der Wohnung umher, spielte mit ein paar Konserven in der Kochnische und setzte sich dann dicht neben Kendra. »Vor hundert Jahren, als Healy auf seiner › Bear ‹ hierherkam, zusammen mit Sheldon Jackson, da waren die Schamanen, auf die sie trafen, ein verkommener Haufen. Jacksons Berichte gaben dem System seinen schlechten Ruf, aber die Schamanen, mit denen sich mein Großvater zusammengetan hat, waren ganz anders.« Er erhob sich, ging wieder ein paar Schritte im Zimmer auf und ab und schloss : »Dieser Borodin, vielleicht ... Sie wissen, er hat unglaubliches
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