Alaska
Sprengladung im Körper, die Gummischwimmer und schließlich der vernichtende Schuss - das konnte selbst ein 40 Tonnen schweres Tier nicht überleben, und sein Blut färbte die Chukchisee in Windeseile rot.
Doch jetzt zeigte das Tier, warum es seinen Namen, Leviathan der Meere, zu Recht verdiente, denn trotz der schrecklichen Verwundung setzte es seine Wanderung nordwärts fort, um den Anschluss an die Herde nicht zu verlieren. Es behielt den Kurs bei, auch wenn es immer weiter zurückblieb, und verschwand schließlich aus den Augen der zuschauenden Dorfbewohner auf dem Eis. Mehrere Kilometer entfernt entlang der Küste an einer Stelle, wo eine zweite Umiakbesatzung dem Tier nachstellte und es noch einmal mit Harpune, Sprengladung und Gewehr zur Strecke brachte, machte der Wal einen letzten Versuch, sich von den hemmenden Schwimmblasen zu befreien, scheiterte, drehte sich auf die rechte Seite und verendete.
Afanasi, auf der Hinterbank seines Umiaks, sackte in sich zusammen, als er das Tier im Todeskampf sah, es war kein Sieg, den er da errungen hatte. Für ihn war es die zehnte Waljagd, die er erfolgreich zu Ende gebracht hatte, er war ohne jeden Zweifel der Meister der Nordmeere, aber er hatte einen Freund verloren: »Oh, edler Kämpfer! Wir ehren dich!« Dann stimmte er aus Respekt vor dem Wal, der alle Einwohner von Desolation Point mit Fleisch versorgen würde, ein Lied an. Etwas Geheimnisvolles war geschehen, die Erlegung eines Wals nach zwei erfolglosen Jahren, und er war von Ehrfurcht ergriffen.
Es dauerte vier Stunden, bis die Besatzungen der beiden Umiaks den toten Wal nach Desolation geschleppt hatten, und es war weit nach Mitternacht, als sich der Kadaver unter einem silbrigen Mondlicht der Eisdecke näherte, auf der Kendra noch immer wartete. Zwei riesige Flaschenzüge, jeder mit fünf stabilen Rollen ausgestattet, waren viereinhalb Meter auseinander platziert , ein dickes, schweres Seil schlängelte sich hin und her über die Rollen. »Was haben sie vor?« fragte Kendra, und einer der Männer unterbrach seine Arbeit und erklärte: »Wenn wir an diesem Seilende sechs Fuß ziehen, also, der Flaschenzug ... unwahrscheinliche Hebelwirkung ... die sogenannte mechanische Kraftverstärkung. Der Wal bewegt sich dann gerade mal sechs Zoll.«
Kendra konnte nichts entdecken, was man als Verankerung für den Flaschenzug auf dem Eis hätte nehmen können, ganz zu schweigen von einem Baum oder einem Pfahl, um ein Seil zu befestigen. Statt dessen fingen die Männer jetzt an, zwei Löcher ins Eis zu graben, etwas über einen Meter auseinander, und als sich alle überzeugt hatten, dass sie tief genug waren, schlüpfte ein besonders behänder Mann in eine der Gruben und buddelte vom Boden aus einen Tunnel durch das Eis zur anderen. Ein schweres Seil wurde in die eine Grube eingeführt, durch den Tunnel und die andere Grube hoch, und so hatte man eine Verankerung gebaut, die nicht nachgeben würde.
Mit dem zweiten Flaschenzug liefen die Männer zum Rand der Eisdecke, wo der Wal eingetroffen war, befestigten das Gerät an dem Koloss und begannen zu ziehen, sobald Afanasi das Kommando gab: »Alle Mann, los! Alle Mann, los!« Jeder aus Desolation, der sich in dem Augenblick auf dem Eis befand, griff nach dem freien Ende des Seils und begann zu ziehen, den im Walfleisch eingehakten Flaschenzug auf den im Eis verankerten zu, und wie der Mann Kendra erklärt hatte, entstand durch die fünf Rollenpaare ein solcher Kraftgewinn, dass der Wal langsam, aber sicher aus dem Wasser gehievt wurde und sich über das Eis vorschob.
Als einer aus Afanasis Mannschaft sah, wie der Wal eingeholt wurde, hisste er eine Fahne, die er bei solchen Gelegenheiten immer wehen ließ - »Wir danken dir, Jesus!« -, und die Frauen fielen auf die Knie und sprachen ein Dankgebet.
»Kommen Sie!« rief Kasm Hooker seiner Kollegin zu, die alles aufmerksam verfolgte. »Das ist auch Ihr Wal. Packen Sie mit an«, worauf sie ihren Platz an einer der Seile einnahm und mithalf, den Wal die letzten paar Meter über das Eis zu schleifen.
Die unvergleichlichen Stunden, die dann folgten, prägten sich für immer in ihr Gedächtnis ein - das blasse Frühjahrslicht, das die arktische Nacht durchflutete, die angespannte Konzentration der Bewohner von Desolation, als sie gemeinsam an den armdicken Seilen zogen, der alte Mann, barhäuptig, der feierlich im Wind einen Wimpel aufzog, den Fang eines Wals anzuzeigen, und der Gesang der alten Frauen, als das Seetier
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