Alaska
mussten überquert werden, aber es gab keine Boote, die man als Fähren benutzen konnte. Unterwegs sollten Handwerker für den Schiffsbau gefunden werden, in abgelegenen kleinen Ortschaften, wo es überhaupt keine Handwerker gab. Riesig weite, öde Landstriche mussten durchquert werden, die noch nie von Reisenden betreten worden waren. Und was sich als besonders ärgerlich erwies, die Beamten in Sankt Petersburg hatten keine Möglichkeit, die Beamten im fernen Sibirien vorher zu informieren, dass dieser Trupp Männer mit Forderungen über sie herfallen würde, die sie kaum erfüllen konnten, jedenfalls nicht mit ihren Mitteln. Nach der zweiten Woche suchte Zhdanko Bering auf und meldete: »Das ist keine Expedition, das ist der reinste Wahnsinn.« Und das wurde zu einem geflügelten Wort während des ersten Teils des Unternehmens.
Sechsundzwanzig der besten Männer Berings fuhren mit fünfundzwanzig Wagen, vollgepackt mit dem für Schiffbau nötigen Material, voraus, er selbst folgte mit sechs Begleitern, unter ihnen auch sein Berater Trofim Zhdanko. Die beiden Männer entwickelten eine enge und wechselseitig hilfreiche Beziehung. Während der Fahrt im Dreigespann nach Solikamsk, ein kleines unbedeutendes Dorf, das den Beginn der Ödnis markierte, hatten die beiden Männer genügend Gelegenheit, ihre gegenseitigen Schwächen kennenzulernen, und weil die Expedition nicht Monate, sondern Jahre dauern würde, war dieses Kennenlernen für beide wichtig.
Vitus Bering, so fand sein Berater heraus, war ein Mann von unumstößlichen Prinzipien. Sein Respekt galt dem, der gute Arbeit leistete, er sparte nicht mit Lob, wenn seine Männer ihren Dienst zu seiner Zufriedenheit versahen, und von sich selber verlangte er ebenso treue Pflichterfüllung. Er war kein Bücherwurm, was Zhdanko beruhigte, der schon mit dem Alphabet seine Probleme gehabt hatte, aber er verließ sich voll und ganz auf seine Karten, die er fleißig studierte. Er war nicht übertrieben religiös, aber betete. Er war kein Vielfraß, aber wusste ein anständiges Mahl und einen kräftigen Schluck aus der Flasche zu schätzen. Vor allem aber, er war ein Führer, der seinen Männern Respekt entgegenbrachte, und weil er sich immer bewusst war, dass er Däne war und diejenigen, die er befehligte, Russen, versuchte er, nie hochmütig zu sein, doch ließ er unmissverständlich durchblicken, dass er das Kommando hatte. Er hatte jedoch eine Schwäche, die den Kosaken störte. Wie von allen russischen Offizieren wurde auch von Bering erwartet, dass er in kritischen Momenten seine direkten Untergebenen zusammenrief und sich mit ihnen beriet. Waren ihre Vorschläge formuliert, hatten sie sie schriftlich einzureichen, damit der Kapitän am Ende nicht die gesamte Schuld auf sich nehmen musste, wenn etwas schiefging. Was Zhdanko nun störte, war, dass sich Bering die Ansicht seiner Assistenten tatsächlich auch anhörte und sie oft bereitwillig aufgriff. »Ich würde sie um ihre Meinung bitten«, knurrte Zhdanko, »und das Papier, das sie unterschrieben haben, ins Feuer werfen.«
Bering andererseits erkannte in Zhdanko einen Mann von resoluter Zivilcourage, der durch den Mord an seinem Vorgesetzten in Yakutsk, jenem Mann, dessen unvernünftiges Verhalten die Stellung Russlands in Sibirien gefährdet hatte, bereit gewesen war, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Wie Zar Peter ihm eröffnet hatte, als er Bering von Trofim erzählte: »Der Mann, den er getötet hat, hatte es verdient. Zhdanko hat mir Arbeit erspart.« Als Bering ihn fragte, warum er ihn dann in Ketten gelegt und in die Hauptstadt zurückbeordert hatte, erklärte ihm der Zar: »Er musste sich etwas abregen.« Dann jedoch fügte er lachend hinzu: »Außerdem hatte ich immer vorgehabt, ihn später einmal für etwas anderes zu gebrauchen, für ein großes Projekt. Ihr Projekt.«
Bering musste zugeben, dass dieser Kosake eine unglaubliche Kraft hatte, sowohl physischer als auch moralischer Art, aber er fand einen Grund, ihn besonders zu schätzen, denn er sagte sich: Er hat immerhin die Lena befahren und die nördlichen Gewässer erkundet. Er stellte auch fest, dass sein Berater einen unbändigen Appetit hatte, sehr schnell in Wut geraten konnte, aber ebenso schnell wieder verzeihen konnte und die Neigung hatte, immer den schwierigeren Weg zu gehen, wenn der eine größere Herausforderung darstellte. Sehr bald schon beschloss Bering, dass er sich nicht an Zhdanko wenden würde, wenn er einen Rat brauchte -
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