Aldebaran
zu.
»He, geh nach Hause, dreckige Schlampe!«, rief der Taxifahrer ihr nach.
Sie hörte ihn nicht.
Sie klingelte an der Tür.
Mariettes Küche duftete nach Basilikum. Die Fensterläden waren gegen die sengende Mittagssonne zugezogen. Ein diffuses Licht floss herein. Hier schien die Welt stillzustehen. Das Leben ging weiter.
Diamantis, Lalla und Mariette tranken ihren x-ten Kaffee, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchten. Sie hatten wenig und schlecht geschlafen. Diamantis hatte ihnen alles erzählt. Ohne die kleinste Kleinigkeit auszulassen. Endlich fühlte er sich leichter. Er wartete auf ihre Reaktion, aber sie zeigten keine.
Lalla ließ ihren Kopf auf Diamantis’ Schulter sinken und schloss die Augen. Er drückte sie an sich. Mariette ging mehr Zigaretten aus dem Schlafzimmer holen. Diamantis sah ihr nach. Er hatte Mariette nicht gesucht. Sie war zu ihm gekommen, wie ein Schiff zu einem verlorenen Seemann. Er wollte sich gern mit ihr einschiffen, diese Reise machen.
Es klingelte an der Tür.
»Ich geh schon«, sagte Diamantis. Er küsste Lalla auf die Stirn und ging öffnen.
Er erkannte Céphée sofort. Sie sah genau so aus, wie Abdul sie beschrieben hatte. Mit Ausnahme der Tränen. Sie rannen ihr über die Wangen.
»Ich bin Diamantis«, sagte er. »Kommen Sie rein. Wir haben gerade Kaffee gekocht.«
Und er nahm sie mit der Achtung und Zärtlichkeit bei den Schultern, die verletzten Frauen gebührt.
Es ist üblich zu sagen: Ein Roman ist eine Fiktion. Die vorliegende Geschichte weicht nicht von dieser Regel ab. Sie entspringt vollkommen der Fantasie des Autors, und die Charaktere sind ebenfalls frei erfunden. Bleibt natürlich die Realität. Diese Dramen, die die Seeleute in verschiedenen Häfen Frankreichs immer öfter erleben. Zwischen Marseille und Rouen werden auch heute noch viele Frachter an die Kette gelegt. Die zumeist ausländischen Besatzungen leben unter extrem schlechten Bedingungen an Bord, trotz der Solidarität, die sie nie ganz im Stich lässt. Mir war wichtig, ihren Mut und ihre Geduld zu würdigen.
Was Marseille betrifft, meine Stadt, so lag mir daran, auf sie ein Licht zu werfen und die aktuellsten Fragen zur Zukunft des Mittelmeers in dieser Geschichte anklingen zu lassen. Meine Einsichten beruhen weitgehend auf Anregungen aus Schriften von Fernand Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. (3 Bde., Frankfurt a. M. 1994), und vor allem aus Predrag Matvejevics beeindruckendem Werk Der Mediterran: Raum und Zeit (Zürich 1993), das, so denke ich, auch jene inspirieren sollte, in deren Händen die Zukunft dieser Region liegt.
Jean-Claude Izzo,
20. Februar 1997.
Jean-Claude Izzo
Jean-Claude Izzo wurde 1945 in Marseille als Sohn eines italienischen Barmanns und einer spanischen Schneiderin geboren. Nach der Ausbildung zum Metallarbeiter ging er zur Armee, wo er nach einem Hungerstreik schließlich mit einem Strafbataillon nach Djibouti geschickt wurde.
Zurück in Frankreich wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei, arbeitete in der Friedensbewegung, wurde Journalist und später Chefredakteur der Zeitung La Marseillaise. Als 1978 die Einheitsfront der linken Parteien zerbrach, gab er alle Ämter auf und ging zurück in die Fabrik. Erst Jahre später begann er wieder mit dem Journalismus und wurde Chefredakteur der Zeitschrift Viva.
Schon früh veröffentlichte er vereinzelte Gedichtbände. Aber erst 1995, im Alter von fünfzig Jahren, trat er durch den Kriminalroman Total Cheops auf einen Schlag ins literarische Rampenlicht. Seine Marseille-Trilogie wurden zum Bestseller, in kurzen Abständen folgten weitere Romane.
Am 26. Januar 2000 starb Jean-Claude Izzo in Marseille an Lungenkrebs.
Die Übersetzer
Katarina Grän, geboren 1960 in Hamburg. Studium der Romanistik und Slawistik. Längere Reisen in den USA und in der Sowjetunion, lebt als Journalistin, Krimiautorin und Übersetzerin in Hannover.
Ronald Voulue, geboren 1952 in Bremen. Studium der Germanistik, Soziologie und Romanistik. Übersetzt neben »postmodernen« Philosophen wie Baudrillard, Deleuze, Lyotard in den letzten Jahren auch Kriminalromane, lebt in Hannover.
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