Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
wäre!), zerbrach er das Brustbein mit einem Meißel. Er achtete darauf, das, was darunter lag, nicht zu beschädigen, und teilte den Brustkorb dann in der Mitte in zwei Hälften. Ein neuer Schwall von Fäulnisgestank schlug ihm entgegen. Er ignorierte seine wiederkehrende Übelkeit, spähte in die Körperöffnung und sah sich die Lungen genau an. Ihre Größe war auffallend und unterschiedlich. Ich wußte es doch ! dachte er, und seine Erregung stieg. Er tastete den größeren Lungenflügel ab; seine Finger glitten auf der schleimigen Oberfläche herum. Doch er konnte spüren, daß sie hart und fest war, und er fragte sich, wie durch eine scheinbar so unbewegliche Masse Luft aufgenommen werden konnte. Der kleinere Lungenflügel dagegen war weich und nachgiebig und ähnelte trotz der grauen Farbe in Form und Beschaffenheit einer getrockneten Aprikose.
Er schnitt den größeren Lungenflügel auf und mußte dabei an das Tranchieren von Fleisch denken; als er in den kleineren schnitt, war dessen Beschaffenheit ganz anders, nämlich nicht trocken und fest, sondern noch immer feucht und etwas weich. Das begriff er überhaupt nicht; er hatte immer angenommen, daß beide Lungenflügel gleich sein müßten, da die Brust sich beim Atmen gleichmäßig hob. Trotz des grauenhaften Anblicks lächelte Alejandro hinter seiner Maske, und seine Augen funkelten vor Erregung. Dies war einer der seltenen Anlässe, bei denen er wirklich glücklich war, denn er wußte, er hatte entdeckt, woran Carlos Alderon gestorben war.
Die innere Oberfläche des kleineren Lungenflügels war dunkel und wirkte beinahe rußig, übereinstimmend mit der populären medizinischen Theorie, vergiftete Luft könne für die Entstehung eines gewissen Ungleichgewichts verantwortlich sein; er fragte sich, welches dunkle Gift in Carlos Alderons Lunge eingedrungen war und sie veranlaßt hatte, sich zu verteidigen, indem sie einen großen Schutzschild anlegte. Es erschien ihm unsinnig, daß der Körper daran sterben konnte, daß er seine eigenen Lungen verteidigte, aber da in seinen Händen lag unbestreitbar der harte Panzer.
Verwirrt drückte er die Lungen beiseite, um das dunkelbraune Herz freizulegen, das sich noch immer fest anfühlte und mit Flecken von weißem Fett bedeckt war, die sich leicht abziehen ließen, nicht unähnlich dem Talg, den Bauern ihren Hühnern unter das Futter mischten, um sie zu mästen. Dieses Herz war denen sehr ähnlich, die er im offenen
Brustkorb lebender Tiere gesehen hatte. Señor Al- deron hatte ein friedliches Leben geführt, und Alejandro nahm daher an, daß sein Herz nicht krank war, denn sonst hätte er logischerweise zu Lebzeiten gewisse Anzeichen eines unguten Temperaments aufweisen müssen. Obwohl sie sehr verschieden waren und die Behandlung unter Schwierigkeiten und heimlich vor sich ging, hatte Carlos nie ein unfreundliches Wort zu ihm gesprochen. Alejandro bedauerte seine mangelnde Erfahrung mit menschlichen Herzen, fand aber dennoch, daß dieses ziemlich groß aussah, was der angenehmen Wesensart seines Besitzers entsprach.
Er wischte seine besudelten Hände an einem Tuch ab und spülte sie dann mit Wasser. Nachdem er sie sorgfältig abgetrocknet hatte, setzte Alejandro sich an einen nahen Tisch und nahm seine Schreibutensilien heraus, einen feinen Federkiel und eine kleine Flasche schwärzlicher Tinte sowie ein ledergebundenes Buch mit Pergamentseiten, sein »Weisheitsbuch«, wie er es bei sich inzwischen nannte. Es war ein Geschenk, das er mit auf die Medizinschule in Montpellier genommen hatte, eine letzte Gabe seines Vaters, bevor er seinen einzigen Sohn zu den Christen geschickt hatte, damit er dort eine Ausbildung erhielt, die der Vater im Grunde nicht wollte. Alejandro hatte sich immer geschworen, seine Familie würde einmal stolz auf ihn sein, trotz ihrer Einwände dagegen, daß er in die christliche Welt eintrat; er war entschlossen, ihnen zu zeigen, daß seine Anstrengungen der Mühe wert waren. Jetzt enthielt das Buch viele sorgfältige Zeichnungen und Seiten voller präziser Notizen, die er bei seiner Arbeit ständig zu Rate zog. Er schlug eine neue Seite auf und trug gewissenhaft Worte und Skizzen ein, damit er sich später, wenn dieses Wissen ihm bei der Behandlung eines anderen Patienten zugute kommen könnte, noch daran erinnerte.
Seine tiefe Konzentration wurde dadurch gestört, daß der Junge ihm beharrlich auf die Schulter klopfte und daran erinnerte, daß sie sich beeilen mußten. Er beendete
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