Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
und sah sie an.
Genau eine Hälfte seines Gesichts war von den Narben verunstaltet. Ein Auge saß schief, und im äußeren Augenwinkel hing eine große Träne. Schweigend starrte sie ihn an.
Schließlich ergriff er das Wort. »Du siehst … wunderbar aus.«
»Du auch.«
»Janie, bitte.«
Sie schloss kurz die Augen, dann trat sie vor ihn hin und
nahm eine seiner vernarbten Hände in ihre. Sie drückte einen zarten Kuss auf das verhärtete Gewebe. »Für mich wirst du immer so aussehen wie bei unserer letzten Begegnung.«
»Ich wünschte, ich könnte mich meiner auch so erinnern.«
Sie lachte leise, dann presste sie seine Hand gegen ihre Wange. Eine Träne rollte über ihre Wange; Bruce wischte sie mit der Fingerspitze weg.
»Ich hoffe, das hat nicht wehgetan«, sagte er. »Meine Haut ist so rau …«
»Wenn es so war, habe ich es nicht gespürt. Ich fühle mich wie betäubt.«
»Verständlich.« Er griff in seine Hosentasche und zog etwas heraus, das er in der geschlossenen Hand behielt. »Gib mir deine Hand«, sagte er lächelnd. »Ich habe dir ein kleines Geschenk mitgebracht.«
Er legte ihr die Zitrone in die Hand. Erstaunt drehte sie sie herum und betrachtete sie. Dann hielt sie sich die Frucht unter die Nase und sog tief den Geruch ein.
»Mein Gott, wo kommt die denn her?«
Gerade, als sie ihre Zähne darin vergraben wollte, platzte Caroline durch die Tür. »Tut mir leid«, sagte sie, »aber er redete irgendwelche Sachen, die überhaupt keinen Sinn ergeben.«
Bruce hielt Janie fest, die sofort losstürzen wollte. »Ich habe noch etwas mitgebracht«, sagte er. »Vielleicht hilft es.«
Die beiden Männer begegneten sich das erste Mal von Angesicht zu Angesicht. Eine Weile starrten sie einander an und fragten sich, wessen Unvollkommenheit wohl größer war. Dann streckte Bruce seine vernarbte rechte Hand aus.
»Ich möchte Ihnen für all die Mühe danken, die Sie auf sich genommen haben, um ein Visum für mich zu bekommen.«
Tom stand auf seine Krücke gestützt da und schüttelte Bruce die Hand. Es war eine herzliche und aufrichtige Geste. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagte er.
Bruce lachte leise. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich Ihnen nicht.« Er warf Janie einen Blick zu, und dann lächelte er wieder Tom an. »Und wenn Sie sich tatsächlich Zeit gelassen haben, könnte ich Ihnen das nicht einmal verübeln. Ich hätte das wahrscheinlich auch getan.«
Einen Augenblick blieb es still zwischen ihnen. Dann bewegte sich Alex in seinem Bett und erinnerte sie alle daran, warum sie hier waren.
»Es wartet Arbeit auf uns«, sagte Bruce. Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten und kramte darin herum. Dann zog er das Röhrchen mit der grüngoldenen Flüssigkeit heraus, das er aus Worcester mitgebracht hatte.
»Wir müssen das irgendwie in seinen Magen bekommen. Es ist eine Enzymlösung. Ich habe noch nicht herausbekommen, wie ich den Wirkstoff isolieren kann. Wir müssen es ihm also wohl oder übel in dieser Form verabreichen.«
Sie improvisierten schnell eine Magensonde und ließen sie in Alex’ Kehle gleiten. Janie sprach ein stilles Dankgebet, dass ihr Sohn nicht bei Bewusstsein war und die höchst unangenehme Prozedur nicht mitbekam, als die Sonde seine Speiseröhre hinunterglitt. Als das Glasröhrchen ganz leer war, zogen sie die Sonde wieder heraus.
Tom und Janie saßen nebeneinander und hielten sich an den Händen, Bruce stand hinter ihnen; die drei beobachteten die Inkarnation des Medicus Alejandro, die gerade Stellen aus dem Tagebuch, das ihm Janie vorgelesen hatte, vor sich hin murmelte und die Erinnerungen von Alejandro durchlebte. Die ganze Nacht über drangen vertraute Namen aus Alex’ Mund, während sich die von Bruce mitgebrachte Medizin langsam in seinem Körper ausbreitete.
Sie hielten Wache an seinem Bett, während er unter Qualen nach Adele rief und zärtlich den Namen Philomène flüsterte. Janie wischte ihm den Schweiß von der Stirn, während er sich aufbäumte und laut die Namen von Eduardo Hernandez, Sir John Chandos, Guillaume Karle und all den anderen
rief, die seinen Weg gekreuzt hatten, als er das erste Mal auf Erden gewesen war. Sie tupfte die Tränen von seinen Wangen, als er Kate anrief, und vernahm den Schmerz in seiner Stimme, als er zu Avram Canches sprach. Immer wieder sagte er »de Chauliac«.
Erst in der darauffolgenden Nacht öffnete er seine Augen. Sein erstes Wort war »Mom«.
»Du hast eine gute Zahnbürste,
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