Alex Rider 6: Ark Angel
er tot, ehe er begreifen konnte, was da passiert war. Zwei Jogger, die ihm entgegenliefen, kreischten auf, als das Ding, das eben noch ein Mensch gewesen war, vor ihnen aufs Pflaster klatschte.
Die Explosion war erstaunlich laut. Man hörte sie noch im Konferenzzentrum, wo die Delegierten sich beim Kaffee zu ihren Beiträgen gratulierten. Sie hörten auch das Heulen derSirenen, als kurz darauf Krankenwagen und Polizei angerast kamen.
Wenig später rief Force Three bei der Presse an und übernahm die Verantwortung für den Mord. Max Webber habe ihnen den Krieg erklärt, und deswegen habe er sterben müssen.
Mit demselben Anruf erließen sie eine nüchterne Warnung.
Sie hätten ihr nächstes Ziel bereits ausgewählt.
Sie hätten etwas vor, das die Welt niemals vergessen würde.
Der Junge in Zimmer neun
D ie Krankenschwester war dreiundzwanzig Jahre alt, blond und nervös. Das war erst ihre zweite Woche am Klinikum St. Dominic, eine der exklusivsten Privatkliniken von London. Bekannte Rockmusiker und Fernsehstars kamen hierhin, hatte sie gehört. Und VIPs aus dem Ausland. VIP hieß hier Very Important Patients. Auch berühmte Leute werden krank, und wer bei seiner Genesung nicht auf Fünf-Sterne-Luxus verzichten wollte, ging ins St. Dominic. Die Chirurgen und Therapeuten waren Weltklasse. Das Essen war so gut, dass sich immer wieder Patienten extra krank stellten, um die Küche noch etwas länger genießen zu können.
An diesem Abend trug die junge Schwester ein Tablett mit Medikamenten durch einen breiten, hell erleuchteten Korridor. Sie hatte einen frisch gewaschenen weißen Kittel an. Ihr Name – D. MEACHER – stand auf einem Aufnäher unter dem Kragen. Mehrere Jungärzte hatten bereits Wetten abgeschlossen, wer von ihnen es als Erster schaffen würde, mit ihr auszugehen.
Vor einer offenen Tür blieb sie stehen. Zimmer neun. »Hallo«, sagte sie. »Ich bin Diana Meacher.«
»Schön, Sie kennenzulernen«, antwortete der Junge in Zimmer neun.
Alex Rider saß im Bett und las ein Kapitel in einem Französischlehrbuch,das seine Mitschüler gerade im Unterricht durchnahmen. Seine Pyjamajacke war offen, sodass Diana den Verband um seine Brust sehen konnte. Was für ein hübscher Junge, dachte sie. Sie wusste, er war erst vierzehn, auch wenn er älter wirkte. Das kam sicherlich von den Schmerzen. Seinen ernsten braunen Augen sah man an, dass sie schon zu viel gesehen hatten. Schwester Meacher hatte seine Krankenakte gelesen und verstand, was er durchgemacht hatte.
Eigentlich müsste er tot sein. Alex Rider war von einer Gewehrkugel vom Kaliber 22 getroffen worden, die aus fünfundsiebzig Metern Entfernung auf ihn abgefeuert worden war. Der Schütze hatte auf sein Herz gezielt – und wenn die Kugel ihr Ziel gefunden hätte, hätte Alex keine Chance gehabt zu überleben. Aber nichts ist sicher – nicht einmal Mord. Eine winzige Bewegung hatte ihm das Leben gerettet. Er war aus dem MI6-Hauptquartier auf die Liverpool Street getreten und setzte gerade den rechten Fuß von der Bordsteinkante auf die Straße, als die Kugel ihn traf; doch statt in sein Herz zu schlagen, drang sie einen halben Zentimeter darüber in seinen Körper ein, prallte von einer Rippe ab und trat waagerecht unter seinem linken Arm wieder aus.
Die Kugel hatte zwar sein Herz verfehlt, aber trotzdem eine Menge Schaden angerichtet: Sie hatte die Arterie unter dem Schlüsselbein zerrissen, die das Blut oberhalb der Lunge in den Arm transportiert. Als das Blut aus der zerfetzten Arterie schoss und den Raum zwischen Lunge und Brustkasten füllte, hatte er kaum noch Luft bekommen. Ein erwachsener Mann wäre an einer solchen Verletzung höchstwahrscheinlich gestorben. Aber Kinder sind anders gebaut als Erwachsene. Bei jungen Menschen schließt sich eine durchtrennte Arterie automatisch –die Ärzte haben keine Erklärung dafür –, sodass sich der Blutverlust in Grenzen hält. Alex war bewusstlos, atmete aber noch, als vier Minuten später der Krankenwagen eintraf.
Man brachte ihn mit Blaulicht ins St. Dominic, wo die Chirurgen die Knochensplitter aus der Wunde holten. Die Operation hatte zweieinhalb Stunden gedauert.
Und jetzt sah Alex beinahe wieder aus, als sei gar nichts passiert. Als die Schwester ins Zimmer kam, klappte er das Buch zu und ließ sich in die Kissen zurücksinken. Diana Meacher wusste, dass dies seine letzte Nacht im Krankenhaus war. Er war zehn Tage da gewesen, und morgen konnte er nach Hause gehen. Sie wusste auch, dass sie
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