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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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hat.«
    Ich hörte Madame in einer fremden Sprache abwechselnd betteln und fluchen. Im Hintergrund plärrte eine unverständliche Zugansage.
    »Ja, ja«, sagte der Kollege heiter. »Wir können hier leider kein Französisch, weißt du? Wir sind hier nämlich in Deutschland. Und bei uns spricht man Deutsch.«
    Nun verlegte sich die junge Frau aufs Zetern. Das einzige Wort, das ich verstand, war: »Nazi!«
    »Sodele, Mademoiselle, jetzt haben wir genug geschimpft«, erklärte ihr der Kollege daraufhin gutmütig. »Du kommst jetzt mit aufs Revier. Da darfst du im Warmen sitzen, und einen heißen Kaffee kriegst du auch, wenn du brav bist. Und dann wollen wir mal gucken, ob du nicht doch ein paar Brocken Deutsch kannst.«
    Dieses Mal klang ihr »Nazi!« nicht mehr ganz so selbstbewusst.
    »Ich meld mich gleich noch mal«, sagte der Kollege ein wenig atemlos, aber immer noch gut gelaunt. »Brauch mal kurz beide Hände.«
    Augenblicke später klingelte mein Apparat zum dritten Mal. Es war jedoch nicht der robuste Kollege, sondern eine alles andere als robuste Doro.
    »Ich habe Hennings Zimmer durchstöbert.« Ihre Stimme klang, als hätte sie wieder geweint. »Es ist so schrecklich. Ich habe seinen Schreibtisch durchwühlt und mich gefühlt wie eine Diebin. So etwas habe ich das letzte Mal gemacht, als er zwölf war. Damals hat jemand behauptet, er hätte einem Klassenkameraden den MP3-Player gestohlen.«
    »Und du hast etwas gefunden.«
    »Tabletten«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. »Hinter seinem Schreibtisch. An die Rückwand geklebt.«
    »Tabletten?«, fragte ich ahnungsvoll.
    »In einem Kunststofftütchen. Mindestens fünfzig Stück. Kleine, runde Pillen, gelb. In jede ist ein kleines Vögelchen eingeprägt. Denkst du dasselbe wie ich?«
    Bitte nicht auch noch das!
    »Ich schicke eine Streife zu dir und lasse das Zeug abholen«, sagte ich mit belegter Stimme.
    Inzwischen war es draußen Nacht geworden. Und schon wieder regnete es, allerdings nicht mehr so katastrophal wie am frühen Nachmittag.
    Ich nahm mir die Verbindungsliste von Leas Handy vor. Das hatte Klara Vangelis schon am Vormittag getan, mit ihrer üblichen Gewissenhaftigkeit, aber ich wollte sicher sein, dass uns nichts entging. Die Liste enthielt sämtliche Telefonnummern, die Lea in den beiden Wochen vor ihrem Verschwinden angerufen hatte. Hinter jedem Eintrag hatte Vangelis in ihrer winzigen, aber gut leserlichen Handschrift den Namen des Teilnehmers vermerkt. Am meisten interessierten mich natürlich die Tage vor dem zweiten Dezember. Lea hatte zahllose Freundinnen und Freunde angerufen, ihre Frauenärztin, zweimal ihren Vater, dreimal eine Boutique, einmal ihren Mathematiklehrer. Und am Freitagmorgen, schon auf dem Weg nach Straßburg, hatte sie ein knapp zweiminütiges Gespräch mit Henning geführt. Zehn Minuten später hatte sie noch eine SMS verschickt, ebenfalls an ihn. Das war der letzte Eintrag in der Liste.
    Warum hatte sie Henning angerufen? Und warum war er kurze Zeit später nach Straßburg gefahren, um sie zu treffen? Was war so wichtig oder kompliziert, dass man es nicht am Telefon besprechen konnte?
    Ich wählte Doros Nummer. Sie klang immer noch bedrückt. Die Streife, die die gelben Pillen holen sollte, war bisher nicht aufgetaucht.
    »Ich denke, ich weiß, weshalb sie ihn angerufen hat«, sagte sie, nachdem ich ihr von Hennings Telefonat mit Lea berichtet hatte. »Ich habe eben einen Zettel gefunden mit den Zugangsdaten zu seinem Onlinekonto.«
    »Hat er in den letzten Tagen etwas abgehoben?«
    »Am Freitag. Kurz nachdem sie telefoniert haben.«
    »Viel?«
    »Tausend Euro. Bis auf einen kleinen Rest sein gesamtes Guthaben. Er hat sich in den Sommerferien etwas dazuverdient. In einer Autowaschstraße. Obwohl er das eigentlich nicht nötig hat. Sein Vater … Sascha hat ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber und versucht, sich mit Geld freizukaufen. Aber Henning möchte … Er wollte …«
    Auf einmal begann sie hemmungslos zu weinen. Ich hörte ihren stoßweisen Atem und ihr Seufzen und fühlte mich ihr plötzlich sehr nah.
    »Wann war das?«, fragte ich, als sie wieder ruhiger wurde. »Wann genau hat er das Geld abgehoben? Kannst du das feststellen?«
    »Ich habe das Konto noch offen. Neun Uhr achtzehn, neun Uhr einundzwanzig, neun Uhr zweiundzwanzig. Er war an einem Bankautomaten der BB-Bank, ungefähr fünfhundert Meter von hier. Zwei Mal vierhundert Euro und einmal zweihundert.«
    »Du hast nicht mitbekommen, wie er

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