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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Sie waren mittendrin in dem Irrsinnsgetümmel. Lea hatte einen Schutzengel. Irgendein Mann hat ihr die Hand gereicht und sie nach oben aus dem Gedränge gezogen. Jasmin hat kein Glück gehabt. Ich habe sie zwei Tage später identifizieren müssen. Irgendwer musste das ja machen. Lea stand unter Schock. Die war überhaupt nicht ansprechbar, auch nach Wochen nicht. Und damals haben sie auch so ein weißes Tuch weggezogen. Und Jasmin – sie war geschminkt wie ein … wie ein durchgeknallter Teenager. Sie war neununddreißig, als sie gestorben ist. Dürr wie ein magersüchtiges Model hat sie da auf dieser Scheißbahre gelegen. Geschminkt und gekleidet wie ein … Flittchen.«
    »Es muss für Lea das Grauen gewesen sein.«
    »Grauen ist kein Wort dafür. Es gibt überhaupt keine Worte dafür. Sie kann bis heute nicht darüber sprechen.«
    »Und sie gibt Ihnen die Schuld an allem?«
    »Scheiße, ja. Sie hat ja sonst niemanden, dem sie die Schuld geben könnte.«
    »Scheiße ist Ihr Lieblingswort.«
    »Scheiße ist die Überschrift meines Lebens.«
    Wir erreichten die Fichtestraße. Ich fand eine Stelle, wo ich halten konnte.
    »Danke«, sagte er, als ich ihn auffordernd ansah, machte jedoch keine Anstalten auszusteigen. »Ehrliche Antwort, Herr Gerlach: Denken Sie, dass sie noch lebt?«
    »Ja, das denke ich. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie tot ist.«
    »Danke«, sagte er ein zweites Mal und öffnete die Tür. Als ich anfahren wollte, klopfte er aufs Dach und öffnete die Tür noch einmal.
    »Finden Sie sie«, sagte er rau. »Ich verrecke, wenn ich Lea auch noch verliere.«
    Doro hatte inzwischen die gewünschte Liste der Dinge geschickt, die Henning vermutlich in seinen Rucksack gestopft hatte. Ein Abgleich mit dem Inhalt des Rucksacks ergab erwartungsgemäß, dass manches fehlte. Der Rucksack war also tatsächlich durchsucht und geplündert worden.
    Ich bat Sönnchen, die Liste nach Kehl weiterzuleiten. Wenige Augenblicke später klingelte mein Telefon.
    »Und was soll ich jetzt damit?«, wollte ein offenbar schwer erkälteter Kollege wissen. »Einen Norwegerpulli zur Fahndung ausschreiben?«
    »Es sieht danach aus, als hätte jemand den Rucksack geplündert.«
    »So sieht’s aus, ja. Ein großer Teil vom Inhalt war ja auch drum herum verstreut.« Er hustete einige Male mit zunehmender Lautstärke. »Treibt sich eine Menge Gesindel rum, drüben beim Bahnhof. Die Grenze …« Noch einmal schüttelte ihn der trockene Husten. Dann klang seine Stimme wieder klar. »Ich glaub ja nicht, dass der Junge seinen Rucksack selber in dieses Gebüsch geschmissen hat. Ich denk eher, dass ihm den wer geklaut hat. Dann hat er alles rausgenommen, was er brauchen konnte, und den Rest weggeschmissen. So läuft das doch normalerweise.«
    »Und warum ist der rechtmäßige Besitzer dann nicht sofort zu Ihnen gekommen, um Anzeige zu erstatten?«
    »Gute Frage.« Er zog die Nase hoch. »Vielleicht hat er was Wichtigeres zu tun gehabt?«
    »Er hat nichts mehr anzuziehen als das, was er am Leib trägt. Vermutlich hat er kein Geld mehr, vielleicht keine Papiere …«
    »Glauben Sie, dem Jungen ist was passiert?«, fragte der erkältete Kollege nun doch ein wenig besorgt.
    »Ich fürchte eher, er hat sich was angetan. Er hat Liebeskummer.«
    »Ach, du lieber Gott«, stöhnte er. »Da kenn ich mich aus. Habe zwei Mädchen großgezogen. Jetzt sind sie ja Gott sei Dank aus dem Gröbsten raus und verheiratet. Aber vor zehn Jahren, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen …«
    Ich eröffnete ihm, dass auch ich zwei Töchter hatte, die allerdings bisher weder groß noch unter der Haube waren, sondern noch mitten in der Pubertät steckten. Er sprach mir sein Beileid aus, und von diesem Moment an waren wir so etwas wie Verbündete.
    Im Hintergrund hörte ich eine Frau lautstark und mit zunehmender Empörung telefonieren.
    »Wissen Sie was?«, sagte der Kollege plötzlich entschlossen. »Den Spaß mach ich mir jetzt. Ich fahr zum Bahnhof rüber und guck mir das Gesocks mal ein bisschen genauer an, das da rumhängt. Vielleicht hat ja einer zufällig einen schönen neuen Pulli an …«
    Vom Kehler Polizeirevier zum Bahnhof schien es nicht weit zu sein, denn schon fünf Minuten später hatte ich ihn erneut in der Leitung.
    »Norwegerpulli!«, verkündete er. »Und die schwarzen Jeans hab ich auch vor mir stehen. Mustang, wie’s auf Ihrer Liste steht. Unten zweimal umgekrempelt, weil Madame ein bisschen kurze Beine

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