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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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und faltete die Hände im Nacken. »Was denken Sie?«
    »Sie sagten doch, einen Tag früher sei die Frau des Doktoranden verschwunden. Und seine Kinder.«
    »Das weiß ich nur aus dritter Hand. Es muss nicht wahr sein.«
    »Aber es passt zusammen. Ich tippe auf Erpressung. Moshe Schochat hat sich mit Panzerstählen beschäftigt und verfügte vermutlich über Wissen, das für das israelische Militär von Interesse gewesen sein dürfte. Und nicht nur für die, natürlich. Auch Dr. Lassalle könnte aus seiner Berufstätigkeit einige Dinge wissen, für die sich alle möglichen Leute interessieren …«
    Das war ein völlig neuer Gedanke. Benahm sich Lassalle etwa deshalb so merkwürdig? Weil man ihn erpresste, um an das Rezept seiner uranhaltigen Panzerstähle zu gelangen? Ich setzte mich wieder gerade hin.
    »Und damit er dieses Wissen preisgibt, entführt man seine Tochter?«
    »Es wäre eine Möglichkeit.«
    »Die ziemlich plausibel klingt«, gab ich widerwillig zu. »Aber weshalb hat sie am Abend vor der Klassenfahrt geblutet?«
    »Vielleicht ein erster Entführungsversuch, der gescheitert ist?«
    »Und dann lässt der Vater sie am nächsten Tag seelenruhig nach Straßburg fahren?«
    Klara Vangelis zuckte die von edlem Tuch umhüllten Schultern.
    »Lea fährt am Morgen nach Straßburg, nachdem sie am Abend zuvor mit knapper Not einer Entführung entkommen ist«, fuhr ich fort. »Auf ihren versoffenen Vater setzt sie keine Hoffnungen. Also ruft sie einen Freund an, bittet ihn um Geld, das er ihr bereitwillig bringt, vorher beklaut sie noch ihren Vater, und dann taucht sie unter.«
    »Für mich klingt das plausibel.«
    Ich nickte zögernd. Und nickte noch einmal.
    »Plausibler als alles andere, worauf wir bisher gekommen sind.«
    An diesem Abend hatte ich einen Termin, auf den ich mich seit Tagen freute: Lorenzo. Am Wochenende hatte er völlig überraschend angerufen und verkündet, er werde den Winter nicht wie üblich im Süden Italiens verbringen, sondern in seinem Haus in Heidelberg. In Kalabrien war es zurzeit kälter als in der Kurpfalz, und außerdem regnete es dort ebenfalls. Ob ich Lust auf einen Schachabend hätte, wollte er wissen, auch wenn wir dabei nicht wie sonst auf seiner Terrasse sitzen könnten. Selbstverständlich würde er kochen.
    Die Schachspiele würde ich wie üblich allesamt verlieren. Aber das Essen würde mich über diesen Umstand hinwegtrösten, denn Lorenzo spielte nicht nur besser Schach, er kochte auch besser als jeder andere Mensch, den ich kannte.
    So stand ich um halb acht in Begleitung zweier Flaschen Weißwein vor seiner Tür. Sein Haus lag am nördlichen Neckarufer, etwas erhöht in der dritten oder vierten Reihe mit unbezahlbarem und unverbaubarem Blick auf Altstadt, Brücke, Fluss und Schloss. In Lorenzos Eingangsbereich hing eine gute Kopie des berühmten Stichs, den Matthäus Merian im Jahr 1620 von Heidelberg angefertigt hatte. Er konnte damals nicht allzu weit von der Stelle entfernt gesessen haben, wo jetzt Lorenzos Haus stand.
    Mein Weißwein stammte vom Bodensee. Ein Weißburgunder, den ich erst kürzlich entdeckt hatte und der sympathischerweise nicht annähernd so teuer war, wie er schmeckte. Selbst Lorenzo fand nichts zu mäkeln daran, was das höchste Lob war, das ein Wein von seiner Zunge erwarten konnte. Irgendwann hatte er mir ohne eine Spur von schlechtem Gewissen gestanden, dass die kostbaren Flaschen, die er in seinem Keller hortete, allesamt von einem noblen Weingut in der Gegend um Catanzaro stammten, das im Besitz einer Mafiafamilie war. Seither bestand ich darauf, bei unseren kulinarischen Schachabenden wenigstens den Wein beizusteuern.
    Lorenzos bürgerlicher Name lautete Horst-Heinrich Lorentz. Viele Jahre seines bewegten Lebens hatte er in Kalabrien verbracht und dort irgendwann dem einzigen Sohn eines Mafiabonzen das Leben gerettet. Seither hatte er immer ausreichend Wein im Keller und schien auch sonst im Wesentlichen ausgesorgt zu haben. Dies waren allerdings Themen, die wir in letzter Zeit mieden.
    Als Vorspeise servierte er mariniertes Gemüse mit einem Hauch von Knoblauch. Lorenzo war viel besser zu Fuß als bei unserem letzten Abend, der im Spätsommer gewesen sein musste, wenn ich richtig rechnete. Damals hatte er noch zwei Stöcke gebraucht, um sich fortzubewegen, und sein Haus praktisch nur noch für Arztbesuche verlassen. Heute dagegen schien er nahezu beschwerdefrei zu sein. Er hatte in einer Klinik in Chicago eine sündteure Wunderbehandlung

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