Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
wieder. »Hätte ich bloß gleich ein Backup gezogen, ich Idiot!«
Mir kam eine Idee. Mitsamt meinem Schreibtischstuhl wandte ich mich an Vangelis. »Sie haben doch einen Verwandten, der sich mit Computersachen auskennt.«
»Leandros.« Sie nickte. »Ein Cousin. Er hat in Heraklion Informatik studiert und ein paar Jahre bei einer Computerfirma in Athen gearbeitet. Jetzt hat er in Lampertheim ein Restaurant und verdient doppelt so viel.«
Beim Mittagessen in der Kantine traf ich Balke wieder. Er war immer noch geknickt wegen der defekten Festplatte und tröstete sich mit Currywurst und Pommes über den Fehlschlag hinweg. Ich selbst stocherte in meinem angeblich griechischen Salat herum und beneidete ihn. Wir aßen schweigend und hingen unseren Gedanken nach.
»Was ist das eigentlich für eine Geschichte?«, fragte Balke, nachdem er das letzte Kartoffelstäbchen verschluckt hatte. »Bisher weiß ich nur, dass ein Mädchen verschwunden ist und ein Freund ihren Laptop versenkt hat.«
Mein Salat war mir zu sauer, der angebliche Fetakäse schmeckte nach Pappe. Ich erhob mich kurz entschlossen, stellte mein Tablett samt Salat in die Geschirrrückgabe und holte mir ebenfalls Currywurst. Fasten konnte ich auch in der Zeit zwischen den Feiertagen. Am Vormittag hatte ich endlich meinen Urlaubsantrag eingereicht. Zwei Wochen herrliche Ruhe – von Heiligabend bis Dreikönig. Als ich wieder saß, klärte ich meinen Mitarbeiter in groben Zügen auf. Er hörte aufmerksam zu und stellte keine Fragen.
Am Ende nickte er zum Fenster, an dem der Regen in Bächen hinablief. »Sagten Sie vorhin was von einem braunen Mercedes?«, fragte er, ohne mich anzusehen.
»So haben die Zeugen den Wagen beschrieben. Wieso?«
Jetzt sah er mir wieder ins Gesicht. »Weil ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, wann ich zum letzten Mal einen braunen Mercedes gesehen habe. Ich meine, das ist doch die absolute Kackfarbe!«
»Ich würde keine großen Wetten auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen abschließen. Das waren Obdachlose, alle vier ziemlich betrunken. Und wir wissen ja nicht mal, ob der Mercedes ein deutsches Kennzeichen hat.«
»Man hat schon Pferde kotzen gesehen.« Balke war mit einem Mal wieder munter. »Es wäre eine kleine Onlineanfrage nach Flensburg …«
Einen Versuch war es wert. Wie oft hatte uns gerade der Hinweis am Ende zum Ziel geführt, in den wir die geringsten Hoffnungen gesetzt hatten?
»Frau Vangelis soll das machen«, entschied ich. »Sie hat sonst nichts zu tun.«
Die Currywurst schmeckte mir auch nicht besser als der Salat.
»Die Geschichte setzt Ihnen ganz schön zu, was?«, fragte Balke.
Ich atmete tief ein und aus. »Der Junge hat vor einer Woche in meinem Büro gesessen. Er war verzweifelt. Und jetzt ist er wahrscheinlich tot.«
Und außerdem war er vielleicht mein Sohn. Wenn ich mich nur ernsthafter mit ihm beschäftigt hätte … Wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, die Alarmzeichen erkannt hätte …
»Das Mädel muss ja ein schönes Früchtchen sein«, unterbrach Balke meine Grübeleien. »Denken Sie, der Typ mit dem Mercedes hat sie erpresst?«
»Angeblich hat sie ihm etwas wie ein dünnes Buch oder einen dicken Umschlag übergeben. Ein paar Stunden früher hat sie sich von Henning tausend Euro bringen lassen. Und ihrem Vater hat sie am Vorabend siebenhundert geklaut.«
»Sie und dieser Mercedesfahrer haben gestritten?«
»Anscheinend.«
»Vielleicht war er sauer, weil nicht genug in dem Umschlag war?«
»Wäre eine Erklärung.«
»Und jetzt traut sie sich nicht nach Hause – aus Angst, er könnte wiederkommen und den Rest verlangen.«
»Das führt doch zu nichts«, sagte ich müde. »All das habe ich mir in den vergangenen Tagen schon tausendmal überlegt.«
Balke schwieg für Sekunden. Dann sah er mir ins Gesicht. »Chef«, sagte er langsam. »Könnte der Typ nicht schlicht und einfach so was wie Leas Zuhälter sein?«
Ach, du lieber Gott. An so etwas hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Sollte der Satz »Auf den Strich gehe ich sowieso schon?«, den sie ihrem Mathematiklehrer an den Kopf geschleudert hatte, etwa gar keine Provokation, sondern die Wahrheit gewesen sein?
Zwei Stunden später saß mir Klara Vangelis gegenüber. Draußen dunkelte es schon wieder. Und es regnete immer noch.
»Ich bin davon ausgegangen, dass der Halter irgendwo in der Nähe wohnt«, begann sie mit konzentriertem Blick. »Sonst würde das Mädchen ihn nicht kennen. Mit HD-Kennzeichen habe ich
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