Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
siebzehn braune Mercedes gefunden.« Sie warf einen Blick in ihr Notizbüchlein. »Mannheim: elf, Ludwigshafen: achtunddreißig – die scheinen da eine Leidenschaft für die Farbe zu haben –, Heppenheim: drei, nördlicher Landkreis Karlsruhe: einundzwanzig. Macht in Summe neunzig. Was wissen wir sonst noch über den Wagen?«
»Er ist ziemlich groß. Kein Sportcoupé.«
»Bleiben, Moment …« Sie rechnete stumm und ging mit ihrem Stift die Liste durch. »Einundachtzig. Was wissen wir über den Fahrer, außer dass er ein Mann und nicht mehr ganz blutjung ist?«
»Eher groß und schlank als klein und dick. Kräftig soll er gewesen sein.«
»Hat er hochdeutsch gesprochen oder Dialekt?«
»Weiß ich nicht. Und es hat wohl wenig Sinn, die Straßburger Obdachlosen danach zu fragen.«
»Na dann«, meinte sie und sprang auf. »Werde ich mich mal wieder ans Telefon hängen.«
Ihre Energie hatte mich angesteckt. Vielleicht, vielleicht hatten wir Glück, fanden diesen Mercedesfahrer und kamen endlich einen Schritt voran. Da mir nichts Besseres einfiel, schickte ich Sarah eine SMS mit der Bitte um die Handynummer ihrer Schulfreundin Samantha.
Die Antwort kam postwendend.
Ich wollte jedoch nicht Samantha, sondern ihren Vater sprechen. Sarah hatte meinen Anruf offenbar schon angekündigt, denn das Mädchen verhalf mir bereitwillig zur Nummer des Telefons auf seinem Schreibtisch. Claus Overbeck war Abteilungsleiter eines schwedischen Möbelhauses in Walldorf und anfangs etwas verwirrt.
»Ähm – wie jetzt?«, fragte er, nachdem ich den Grund meines Anrufs genannt hatte. »Ich verstehe immer nur Kripo!«
»Kein Grund zur Beunruhigung. Ich habe nur eine Frage.«
»Na dann. Fragen Sie.«
An die Fahrt nach Baden-Baden im Oktober erinnerte er sich noch gut. An die Tatsache, dass er an jenem Tag getankt hatte, nicht.
»Wo noch mal?«
»An der OMV-Tankstelle an der Speyerer Straße.«
»Da tanke ich meistens. Am achten Oktober, sagen Sie?«
»Das sagt Ihre Tochter.«
»Und da soll ein Mercedes gewesen sein? Wo genau? Am Samstagvormittag ist immer viel Betrieb da.«
»Sie können sich daran erinnern, dass Sie dort getankt haben?«
»Ja. Nein. Vielleicht. Das Problem ist, ich tanke da alle zwei, drei Wochen. Da bringt man leicht was durcheinander.«
»Sie sind aber nicht jedes Mal mit Ihrer Tochter dort.«
»Auch wieder wahr. Ja, ich erinnere mich, dass sie ein Eis wollte. Es war warm an dem Tag. Viel zu warm für Oktober. Ich habe gesagt, wenn sie mir die Polster versaut, dann … Der Wagen ist erst ein halbes Jahr alt, und ich gebe zu, ich bin da ein bisschen pingelig. Aber sie hat ihr Eis gekriegt. Ich habe es ihr von der Kasse mitgebracht, und sie hat nicht damit rumgekleckert.«
»Sie waren nicht zusammen an der Kasse?«
»Wie kommen Sie darauf? Nein, Samantha hat im Wagen gewartet.«
»Wenn ein Kind ein Eis haben möchte, dann will es das normalerweise selbst aussuchen«, wusste ich aus Erfahrung.
»Na!« Overbeck lachte. »Wenn mein Töchterchen das gehört hätte, dann hätten Sie jetzt einen Feind mehr auf der Welt. Sie hasst das Wort ›Kind‹ wie die Pest. Nein, ich war allein an der Kasse. Da war eine ziemliche Schlange, und sie wollte unbedingt ein Magnum mit Mandeln. Ich – na ja – war ein bisschen gereizt an dem Morgen. Wir waren spät weggekommen, weil Samantha mal wieder drei Stunden im Bad rumplanschen musste, bevor sie zu ihrem Opa fahren konnte, und meine Frau war auch mit dem falschen Fuß aufgestanden. Sie versteht sich nicht mit meinem Vater und war stinkig, dass ich sie am Samstag allein gelassen habe …«
Er verstummte. Schnaufte.
»Alle Achtung«, sagte er dann in verändertem Ton. »Jetzt erinnere ich mich doch tatsächlich ganz gut an den Vormittag. Wie machen Sie das? Lernt man das bei der Polizeiausbildung?«
»Versuchen Sie sich bitte weiter zu erinnern.«
»Irgendwann bin ich dann doch noch drangekommen. Jeder Zweite vor mir hat natürlich einen Kaffee gebraucht oder eine Bockwust oder irgendeine Zeitschrift. Einer hat ungefähr zehn von diesen Tittenheftchen auf den Tresen gelegt und das Mädel an der Kasse schier in den Wahnsinn getrieben, weil er am Ende nicht genug Geld dabeihatte. Der Nächste wollte fünf Flaschen Schnaps, aber sie hatten nur noch vier. Sie kennen das wahrscheinlich. Immer wenn man es eilig hat, geht entweder die Kasse kaputt, oder die Kassiererin fällt in Ohnmacht. Irgendwann bin ich dann wieder raus zum Auto und hatte sogar an das Eis
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