Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
bitte!«
»Und wo kriegt ihr das Dreckszeug her?«
Sie tauschten Blicke. Sahen wieder auf ihre Teller.
»Wird das etwa auch an eurer Schule verkauft?«
Energisches Kopfschütteln.
»Also doch von Henning?«
Empörte Blicke.
»Abends im Club?«
Zögerndes Kopfschütteln.
Ich atmete tief durch. »Von Freunden?«
Kein Kopfschütteln.
»Von … etwa von Lea?«
Kaum wahrnehmbares Nicken.
Ich beugte mich vor. »Sie dealt mit Drogen?«
Dann hatte Henning also bei seinem Einbruch nicht nur ihren Laptop mitgehen lassen, sondern auch ihren Drogenvorrat in Sicherheit gebracht? Um sie zu schützen? Oder weil sie ihn darum gebeten hatte? Wollte sie für länger verschwinden? Und hatte Henning das gewusst?
»Dealen würd ich es nicht nennen«, sagte Louise unglücklich.
»Sie verkauft echt nur wenig«, ergänzte Sarah. »Dealen ist was anderes.«
»Damit ist also klar, woher sie ihr vieles Geld hat.«
Keine Reaktion.
»Und wo kriegt sie die Pillen her?«
»Wissen wir nicht. Aber ihre Ware ist sauber. Das ist guter Stoff.«
Das einzig Gute an der Sache war, überlegte ich, als ich später den Tisch abräumte: Endlich hatte ich das, was ich mir die ganze Zeit gewünscht hatte – einen Fall. Ich konnte eine Fahndung nach Lea in Gang setzen wegen Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
War der Mann mit dem braunen Mercedes möglicherweise ihr Drogenlieferant gewesen?, fragte ich mich, als ich am Fenster stand, meinen Nachmittagscappuccino schlürfte und dem Regen beim trostlosen Regnen zusah. Hatte es Ärger gegeben wegen unbezahlter Lieferungen? Hatte Henning davon gewusst und ihr zu Hilfe kommen wollen? Hatte er Leas Lieferanten zur Rede gestellt und war an den Falschen geraten? Und was mochte das gewesen sein, worum Lea und der Mercedesfahrer angeblich gestritten hatten?
Fragen, nichts als Fragen.
Später ließ ich mich auf der Couch nieder, um ein wenig Schlaf nachzuholen, und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich meine Töchter als Konsumenten outen musste, sollte ich Lea der Dealerei bezichtigen. Wollte ich das? Durfte ich das?
Über diesen schwierigen Gedanken schlief ich ein.
Die turbulente Nacht mit Theresa steckte mir noch in den Knochen.
Der Taucher begann seinen Einsatz am Montagmorgen um halb neun. Die Wassertemperatur betrug fünf Grad, die Lufttemperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt, und es goss immer noch wie aus Kübeln, was für einen Taucher aber vermutlich kein Problem darstellte. Bereits eine Dreiviertelstunde später meldete Kehl Erfolg. Ich bat darum, Leas zertretenen Laptop per Kurier und mit Blaulicht nach Heidelberg zu schicken, und warnte Sven Balke vor, einen meiner jungen und motivierten Mitarbeiter. Vielleicht hatte die Festplatte das Bad im eisigen Rheinwasser überlebt, und ich würde mir in Kürze ansehen können, was Henning so verstört hatte.
»Festplatten sind ja nun mal von Natur aus wasserdicht«, hatte Balke mir erklärt. »Wenn das Ding nicht allzu lange im Wasser gelegen hat, dann haben wir gute Chancen.«
Der Streifenwagen brauchte für die hundertsiebenundzwanzig Kilometer von Kehl nach Heidelberg sensationelle vierundvierzig Minuten. Als der junge Fahrer in blauer Uniform mit einer quietschgelben Plastikkiste unter dem Arm in mein Büro stürmte, glänzten seine Augen vor Stolz und Adrenalin.
»Das war mal cool!«, verkündete er atemlos. »Wusst gar nicht, dass die Karre fast zweihundertzwanzig macht!«
Er knallte die Kiste auf meinen Schreibtisch, in der die traurigen Reste eines teuren und vor Nässe triefenden Laptops lagen. Das Gerät war gründlich zertrümmert. Überall quollen Computereingeweide heraus, der Monitor lag lose auf. Noch bevor ich dazu kam, den Mann für seinen Einsatzwillen zu loben, sprang die Tür auf, und Sven Balke platzte herein. Als Digital Native war er einer der wenigen in unserer Direktion, die wirklich etwas von Computern verstanden. Balke stammte aus dem hohen Norden, was man sah und hörte. Sein millimeterkurz geschnittenes Haar war hellblond, die blasse Haut stets sonnenbrandgefährdet. Außerdem war er muskulös und durchtrainiert und hatte diesen Blick, der Frauen fast jeden Alters unruhig werden lässt. Kurz nach seinem dreißigsten Geburtstag war er – erst vor einigen Monaten – zum Hauptkommissar befördert worden.
»Das ist er?« Neugierig beäugte er den Inhalt der Kiste.
Ich verabschiedete den uniformierten Kurier mit ein paar anerkennenden Worten.
»Setzen Sie sich mal bitte kurz?«,
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