Alexander
behauptete mit jener Gereiztheit, zu der er neigte, wenn er sich unsicher fühlte, der Raum sei als begrenzt vorzustellen, ein leerer Raum nicht denkbar und also nicht existent, die Zeit hingegen sei anfang- und endlos. So kam er um den Ewigkeitsbegriff doch nicht herum, hielt sich bei ihm aber nur flüchtig auf, da ihn die düsteren Augen ängstigten, die sein Schüler bei diesem Thema bekam.
Den letzten Vormittag, den er mit Alexander verbrachte, widmete er der Frage über das Endziel menschlichen Lebens; seine Antwort befriedigte nicht. Daß ›Tugend‹ die letzte Absicht menschlicher Existenz sei, klang etwas matt; um so peinlicher zu hören, daß letzten Endes Tugend und Glück identisch waren. Vor dieser eudämonistisch schlauen Ethik empörte sich im Sohn der Olympias alles.
So standen in der letzten Stunde ihres Zusammenseins Lehrer und Schüler fremder als in der ersten: der alte Weisheitsfreund hatte umsonst geworben. Er hatte den ihm Anvertrauten in der Einzelheit bereichert, aber im Großen enttäuscht.
Aristoteles, nur die Verehrung gewohnt, fühlte sich das erstemal in seinem Leben durchschaut, gerichtet, abgelehnt, und zwar da, wo er am ausdrücklichsten versucht hatte, zu wirken und zu gefallen. Dieser Mißerfolg lähmte und ernüchterte ihn, grub noch tiefere Falten von den Augen abwärts zum schlaff-erregbaren Mund. »Dieses Lehrertum ist meine strengste Schule gewesen«, gestand er sich ein. Er war trauriger, als hätte er sein Vermögen oder sogar sein Wissen verloren. So traurig ist nur der, welcher vergeblich geliebt hat.
Als König Philipp den Philosophen bei seiner Abschiedsaudienz nach dem Eindruck fragte, den der Prinz ihm gemacht, lächelte der geziemend. »Prinz Alexander«, sagte er vorsichtig, »ist ohne Frage der begabteste junge Mensch, dem ich jemals zu begegnen das Vergnügen gehabt. Die Frage ist nur, ob er es verstehen wird, sein Genie zu konzentrieren und auszunützen. Er liebt das Unbegrenzte, schweift gerne ab; deutet an, ohne auszuführen. – Freilich ist er sehr jung«, schloß er mit einer Verbeugung.
Majestät nickte besorgt.
Übrigens wurde Aristoteles, durch einen Zufall, der Königin Olympias erst am Tage seiner Abreise vorgestellt. Sie maß ihn unter gesenkter Stirn mit einem langen Blick spöttischen Zweifels. Während er seine eleganten Redensarten sagte, verdüsterte sich dieser Blick, bis er feindlich und sogar hassend wurde.
Alexander schloß sein Urteil über den Pädagogen dem Hephaistion gegenüber ab: »Er ist vielleicht ein Genie. Aber es gibt geniale Pedanten.« Außerdem mokierte er sich darüber, daß Aristoteles aus Angst vor Erkältung und Darmkatarrh stets ein Ledertäschchen, mit heißem Öl gefüllt, auf dem Magen trug. »So sorgfältig ist er!« – Damit war er gerichtet.
Der Philosoph, der trotz des Öltäschchens mit leichter Magenverstimmung und schwer deprimiert abreiste, ließ seinem Zögling, um ihm doch zuletzt noch zu imponieren, einen Spruch des Demokrit als Mahnung fürs Leben:
»Ich möchte lieber einen einzigen ursächlichen Zusammenhang entdecken, als König der Perser werden.« Seine Magenverstimmung wäre schlimmer geworden, hätte er das Lächeln gesehen, mit dem der Knabe dies Vermächtnis beiseite legte.
III
König Philipp leitete sein Geschlecht von Herakles ab. Das nützte ihm nichts, ebensowenig, daß Olympias Achill als ihren Stammvater nannte; man nahm ihn in Athen trotzdem nicht ernst, bei allem Respekt, den man für ihn hatte. Am Hofe zu Pella hatte zwar Euripides verkehrt, zur Regierungszeit Archelaos I.; einer der mazedonischen Könige, Alexandros I. war sogar zu den olympischen Spielen zugelassen worden.
Trotzdem hatte dieser Demosthenes öffentlich sagen dürfen, die Mazedonier seien Barbaren, für Hellas als Sklaven noch nicht einmal gut genug. Philipp vergaß es nicht, wenngleich er darüber scherzte. Wozu dann der ganze Aufwand an Kultur, den er trieb? Wieviel die Fresken des Zeuxis in seinem Empfangssaal gekostet hatten, erzählte er jedem, der‘s hören wollte: vierhundert ganze Talente. Zum Lehrer seines ältesten Sohnes hatte er den Aristoteles gemacht, von dem man doch so viel hielt. Alles nützte nichts: sie fürchteten ihn in Griechenland, aber sie betrachteten ihn nicht als ihresgleichen.
Manchmal sagte er sich: daß man ihn fürchtete, war die Hauptsache. Er war reich, seit er Amphipolis und damit die Goldbergwerke hatte. Mochten sie witzeln und ihn unter sich einen Parvenü nennen, er konnte
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