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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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das Auswandern der Mennoniten hatte Tradition, und Paraguay empfing sie mit offenen Armen. Tausende hatten Deutschland den Rücken gekehrt und sich in der Pampa ein karges Fleckchen Land gekauft, um nach ihren eigenen Regeln leben zu können. Glücksberg war mit siebenhundert Wohneinheiten die größte und neueste Ansiedlung und verfügte sogar über eine eigene Landebahn. In dem Prospekt hatte Engberts Traktoren gesehen, die Felder pflügten, und lachende Frauen mit weizenblonden Haaren bei der Ernte.
    In der Dokumentation stand, dass die Regierung Glücksberg wie allen anderen Kolonien vollkommene Autonomie gewährt hatte und es dort nicht nur eine eigene Polizei, sondern auch eigene Gesetze gab. Seine Entwickler waren sicherlich nur allzu gerne bereit, diese gegen Devisen wunschgemäß zu beugen. Und da es sich bei Glücksberg um ein vorfinanziertes Multimillionen-Projekt handeln musste, hatte Engberts sich seinen Teil dabei gedacht, woher das Geld stammen mochte. Glücksberg. Eventuell gab es dort ein Leck. Vielleicht war die undichte Stelle aber auch viel näher, als ihm lieb war.
    Engberts fröstelte. Es war sicherlich noch zu früh, um alle verrückt zu machen. Aber es führte auch kein Weg daran vorbei, dass er telefonieren musste.
    Es klopfte. Engberts fuhr herum und sah seine Sekretärin in dem wuchtigen Eichenrahmen der Tür stehen.
    »Da ist ein Gespräch für Sie, Professor …«
    »Ich habe jetzt keine Zeit«, blaffte er sie an, ging zu seinem Schreibtisch zurück und ließ sich in den Sessel plumpsen.
    Die Sekretärin trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich würde es trotzdem gerne durchstellen, es …«
    »Rede ich chinesisch? Nein!«
    »… ist eine Frau von Stietencron von der Kriminalpolizei.«
    Die Worte trafen Engberts wie ein Geschoss. »Nun …«, murmelte er nach einer kurzen Pause und faltete die Hände. »Notieren Sie bitte die Nummer. Ich rufe umgehend zurück.«
    Die Sekretärin nickte stumm und verschwand.
    Jetzt auch noch die Polizei. Natürlich würde er auf keinen Fall zurückrufen. Zeit gewinnen. Aber weswegen eigentlich? Engberts wischte sich über die Augen und zog die Computertastatur heran. Er tippte eine Internetadresse in den Browser. Nachdem das Startbild der Seite mit dem blinkenden Logo in der oberen Ecke erschienen war, klickte er sich durch die belanglosen Seiten auf das Log-in und tippte seine Zugangsdaten in das Fenster. Er wartete, bis die Seite vollständig geladen war, scrollte nach unten und fand die New Yorker Nummer, von der aus er automatisch weitergeleitet werden würde. Nachdem die Freizeichen ein paarmal ihren Klang gewechselt hatten, tutete es in der Leitung. Es wurde abgenommen.
    »Ja, Kloppek.« Die Verbindung über den amerikanischen Satelliten war phantastisch. Kloppek war der Leiter der medizinischen Versuchsanlagen in Glücksberg. Ein kleiner Mann mit eng zusammenliegenden Augen.
    »Engberts hier. Ich grüße Sie.«
    »Professor, wie geht es Ihnen?« Kloppek klang erstaunt, und Engberts meinte vor sich zu sehen, wie der ukrainische Wissenschaftler sein Buddha-Lächeln aufsetzte. »Was verschafft mir die Ehre?«
    Engberts biss sich auf die Unterlippe. »Es gibt da einiges, was ich wissen muss, und etwas, worüber Sie und die Projektleitung informiert sein sollten.«
    »Sie machen mich neugierig.«
    Dann stellte Engberts seine Fragen. Es tat gut, jetzt zu reden, und das riesige abstrakte Gemälde, auf das er während des Gesprächs schaute, tat ein Übriges. In dem Wechsel von Flächen, Strukturen und Farben konnte er sich verlieren. Dazu kamen die strenge Symbolik und die archaische Geschichte, die es erzählte, und das beruhigende, tiefe Rot. Es hatte ihm fast die Sprache verschlagen, als es die Mitarbeiter der Galerie vor seinen Augen von der Holzverschalung befreit hatten. Es war überwältigend, metaphorisch wie gestalterisch. Es war die »kleine Aufmerksamkeit« einer Firma gewesen, die ihm in einer Mail angekündigt worden war. »Die Geburt des Siegfried« war der Titel des drei mal vier Meter großen Gemäldes, dessen Wert beachtlich sein musste. Es entstammte einer abstrakten Reihe monumentaler Wagner-Motive des jungen Züricher Malers Reto Rüetli, der als Shooting-Star gehandelt wurde. Als Engberts genauer hingesehen hatte, hatte er leise lachen müssen. Deswegen also. Rechts hinter den Strukturen, die Siegfrieds rechten Fuß darstellen mochten, lugte er um die Ecke. Ein Drache. Gemalt in tiefstem Purpur.

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