Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Augenbrauen hoch: »Du könntest dich übrigens mal anderweitig nützlich mache, dich unter deine Kollegen mischen und im Luisenstift nachfragen, unserer örtlichen Nervenklinik, ob da auch keiner der Insassen auf nächtlicher Wanderschaft war.«
»Meine Kollegen sind hier«, antwortete Alex knapp und verschränkte die Arme vor der Brust.
Was für ein Idiot,
dachte sie.
Kollegen im Luisenstift, du Schwachkopf, Psychologen meinst du, die in deiner Rübe sicher nicht mehr als ein Vakuum oder eine Porno-
DVD
finden würden. Und es heißt auch nicht Nervenklinik, und schon gar nicht Insassen, und es ist ein dummes Klischee, dass …
»Wie auch immer«, antwortete Kowarsch mit einem gekünstelten Lächeln. »Kannst dich natürlich auch umhören, woher die Ratte stammt.«
Sicherlich mache ich das. Eine Ratte jedenfalls ist offensichtlich bei der Polizei gelandet, weil sie dachte, dass sie mit einer Knarre ihren Schwanz verlängern kann.
»Ich kann mich auch gerne um beides kümmern, was sagst du dazu?«
Kowarsch zuckte die Achseln. »Was soll ich schon dazu sagen?« Damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.
Das Luisenstift, dachte Alex. Es war eine psychiatrische Privatklinik, und natürlich war grundsätzlich nicht auszuschließen, dass einer der Patienten in Verdacht käme. Zwar wurden dort nach Alex’ Wissen keine Sexualstraftäter behandelt. Aber sie hatte zumindest von einem gehört, der in der Vergangenheit polizeilich in Erscheinung getreten war. Man hatte ihn den Purpurdrachen genannt.
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17 .
E r war leichtsinnig gewesen. O ja, viel zu leichtsinnig. Dr. Reinulf Engberts ließ sich in den Ledersessel fallen, atmete einmal tief durch und ließ Roths Akte in der Schreibtischschublade verschwinden. Er fingerte den Schlüsselbund aus der Tasche des Kittels, schloss sie ab und schob die Schlüssel dann wieder zurück.
Kraft war stutzig geworden, und Roth hätte um ein Haar zu viel erzählt, wenn er ihn nicht unterbrochen und das Gespräch beendet hätte. Allmählich schwante Engberts, dass Kraft nicht gekommen war, weil er für ein Feature recherchieren wollte. Es gab einen anderen Grund. Am Telefon hatte er von dem Anbau gesprochen. Von den Millionen, die Meridian Health Care in die Hand nehmen würde. Vielleicht waren ihm Informationen gesteckt worden. Und er hatte C- 12 erwähnt und vorgegeben, es selbst in einer Versuchsreihe genommen zu haben. Natürlich war das möglich, aber es war schon ein merkwürdiger Zufall, dass Kraft ausgerechnet ihm gegenüber das Medikament erwähnt hatte. Der Reporter hatte sich außerdem fast den Hals ausgerenkt, um einen Blick auf die Dokumente in Roths Akte zu werfen. Und seine Fragerei nach dem Purpurdrachen. Nicht auszudenken, wenn er …
Engberts trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischunterlage. Nein, Kraft war auf einer Fährte. Und er war ihm auf den Leim gegangen. Je länger er über das Gespräch nachdachte, desto nervöser machte es ihn. Zudem war da noch dieser außergewöhnliche Mord, über den Kraft geschrieben hatte …
Engberts stand auf, hastete durch das Büro und wühlte in dem Stapel Zeitungen, der auf dem gläsernen Besprechungstisch ausgebreitet war. Da war der Artikel. Ein Foto von einem Kornfeldkreis mit Polizeiabsperrungen. »Blutiger Mord im Kornfeld« lautete die Überschrift. Darunter stand die Autorenzeile von Marlon Kraft. Der Schauplatz. Die offensichtliche Geheimniskrämerei der Polizei. Die »sehr außergewöhnlichen Tatumstände«, von denen der Ermittlungsleiter sprach, und alles, was zwischen den Zeilen mitschwang – ein Blinder konnte wahrnehmen, dass es um die Tat eines Kranken ging.
Engberts kratzte sich den Bart. Hier war etwas im Gange, und er hatte das ungute Gefühl, dass es ihn und die Firma direkt betreffen könnte. Vielleicht sogar
Rosebud.
Schließlich war das C- 12 in seiner hochpotenten Form bereits im Einsatz, und irgendetwas konnte nach außen gedrungen sein. In Glücksberg liefen auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse aus dem Irak und Afghanistan neue Testreihen. Kolonie Glücksberg. Als Engberts zum ersten Mal dorthin geflogen war, hatte er über dem Atlantik beim Durchblättern des Memorandums genug Zeit gehabt, sich mit dem Exodus der Mennoniten in das Gelobte Land zu befassen. Früher waren sie vor Stalin und Hitler geflohen. Heute wollten sie der offenen Gesellschaft entkommen, die für ihre Begriffe viel zu liberal war. Engberts hielt Paraguay zwar nicht für ein erstrebenswertes Ziel, aber
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