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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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nicht gefunden worden, und die von den Augenzeugen gemachten Angaben waren so widersprüchlich, dass dem Reporter für seine Mühen nur zweihundert Wörter zugestanden wurden.
    Was die andere Geschichte betraf – tja, die nahm auch viel weniger Platz in den Zeitungsspalten ein, als ich vermutet hätte. Ins Syon House war eingebrochen worden, das stand fest, aber die Mitarbeiter des Hauses betonten, dass nichts entwendet worden sei. Zu vermelden gab es dann nur die ausgeschaltete Alarmanla
ge, das Loch im Nordwestturm und den mysteriösen Krater, den jemand in die Mauer der Abtei gesprengt hatte – kein Wort darüber, wer das alles getan hatte oder aus welchem Grund. Und kein Wort über die Toten, die auf dem Gelände gelegen hatten.
    Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder ließ die Londoner Polizei die Tötungsdelikte absichtlich unerwähnt … oder ich musste nun auch noch die Beseitigung von Leichen zur Liste von Clarissas Talenten hinzufügen.
    Und wenn es so war, wie hat sie das geschafft ? Allein nur Halldor zu bewegen hätte einen halben Tag gedauert. Trotz gebrochener Nase und eventueller Gehirnerschütterung hatte sie den Tatort gründlich gesäubert und sich aus dem Staub gemacht. Und zwar so gründlich, dass Clarissa Gordon zu den Allerersten gehörte, die drei Tage später befragt wurden, als Bernard Styles' Verschwinden publik wurde.
    In den Presseartikeln firmierte sie abwechselnd als Gehilfin, Assistentin und Beraterin, doch ganz gleich, unter welcher Jobbeschreibung, Clarissa schlug immer denselben Ton an. »Es ist vollkommen rätselhaft.« (Der Guardian). »Wir sind natürlich sehr betroffen.« (Die Times) »Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben.« (Der Telegraph). Sie war bis zuletzt diplomatisch klug, aber das eigentliche Indiz für ihren Takt fand sich in dem Satz, mit dem durchweg alle Artikel schlossen: »Die Polizei hat noch keine heiße Spur.«
    Es übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Es war alles bekannt, und ich war durchgeschlüpft, hatte nicht einmal ein Strafmandat gekriegt – wie konnte das sein?
    Clarissa hatte bestimmt inzwischen Styles' Dateien durchgesehen und alle Hinweise auf eine Schule der Nacht oder einen Ralegh-Brief getilgt, verfängliche Gesprächsnotizen gelöscht … Tabula rasa gemacht. Es gab Zeiten, da wünschte ich mir, sie könnte das auch bei mir tun. Die Gespenster in meinem Kopf – Styles und Halldor, Amory, Lily und Alonzo –, sie waren allesamt unruhige Mitbewohner. In manchen Nächten war ganz schön viel Krach. Und außer mir war keiner da, der ihn hörte.
     
    Ende Oktober erreichte mich per Kurier ein Brief von Dominion Guaranty. Er enthielt einen Scheck, ausgestellt auf meinen Namen. Über einen Betrag von dreimillionenvierhunderttausendundzweiundsechzig Dollar.
    Ich legte ihn auf meinen Beistelltisch und trat zurück, als ticke das Ding wirklich. Dann zog ich das Handy heraus und rief bei der Hotline von Dominion an.
    »Sie sind Henry Cavendish, ist das richtig?«
    »Ja.«
    »Und dies ist Ihre Sozialversicherungsnummer?«
    »Ja.«
    »Dann liegt kein Irrtum vor, Sir. Sie sind der Begünstigte der Versicherung von Mr. Alonzo Wax. Bei der angeführten Pauschalsumme handelt es sich um den realistisch geschätzten Marktwert von Mr. Wax' Sammlung.«
    Mr. Wax' Sammlung.
    Alonzos verschwundene Bücher. Die in den letzten Tagen und Wochen auch aus meinen Gedanken völlig verschwunden waren. Was sich jetzt rächte …
    »Der Scheck ist also echt?«, fragte ich.
    »Ja, Sir.«
    Ich war schon so weit gegangen, ihn in die Hand zunehmen. Spürte sogar durch das Papier hindurch das Gewicht der Zahlen.
    »Haben Sie sonst noch Fragen, Mr. Cavendish?«
    »Nein.«
     
    In der Nacht schlief ich miserabel. Am nächsten Morgen ging ich zu Peregrine Coffee und bestellte mir in einem kleinen Anfall von Übermut einen dreifachen Milchkaffe mit einer Extraportion aufgeschäumter Milch obendrauf, setzte mich im Pullover nach draußen, beugte mich über mein Glas und ging im Stillen alle Gründe durch, weswegen ich das Geld behalten durfte.
    1) Alonzo war tot. Und diesmal wirklich.
    2) Ich hatte ihn nicht darum gebeten, als sein Begünstigter eingetragen zu werden.
    3) Ich hatte nichts damit zu tun, dass er seine Sammlung beiseitegeschafft hatte. Hatte nichts davon gewusst. Hätte mir nicht einmal träumen lassen, davon zu profitieren.
    4) Ich hatte keine Ahnung, wo sich die Sammlung derzeit befand, und keine Ahnung, wo man danach hätte suchen sollen.
    Rein rechtlich

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