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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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lässt er unversucht. Käme ein Quacksalber des Wegs, beladen mit Drachenwasser und Engelwurz, Harriot kaufte ihm auch noch die letzte Phiole ab. Und wenn ihm die Vorräte ausgingen, würde er sich eine Muskete nehmen und das nächstbeste Einhorn jagen.
     
    Sie schreit und merkt nicht mehr, dass er sie ansieht. Und wenn sie erschöpft ist, schläft sie nicht ein, wie er es erhofft, sondern erwartet glasig und mit zitternder Ungeduld die nächste Runde.
    Eines Nachts hält sie ihn fälschlicherweise für den Karrenmann, bildet gar mit den Händen einen Wall und schiebt ihn aus dem Bett. Als er wieder hineinsteigen will, richtet sie sich mit weißem Gesicht auf und fleht:
    »Fahr weiter … Noch nicht …« Am Morgen des dritten Tages schwächt sich ihr Delirium so weit ab, dass sie sich aufsetzen und kleine Schlucke unvergorenes Bier trinken kann. Ihr weißes Gesicht hat einen bläulichen Glanz wie ein Marmorblock, an dem die ganze Nacht gehämmert wurde.
    »Papier …«
    Harriot greift nach dem erstbesten Blatt, das er zu fassen bekommt. Den Brief, der seit Tagen zuoberst auf dem Stapel seiner Papiere lag, die noch nicht eingepackt sind. Er schaut gar nicht nach seinem Verfasser. Wendet ihn einfach um, legt ihn ihr auf den Schoß und tunkt den Gänsekiel in die Tinte …
    Und wartet.
    Ihre Hand verharrt über dem Blatt. Und als kämen die Lettern direkt aus der Luft, kritzelt sie dann ein einziges Wort.
    Pneuma
    Der Stift fällt zu Boden. Sie wird nichts mehr schreiben, aber sie hat ihm alles gesagt, was er wissen muss.
    Seltsam, sich vorzustellen, dass ihre Gedanken im Schutze der
Dunkelheit in dieselbe Richtung gewandert sein sollen. Oder ist es so, dass sie ihre Wege mit diesem einen Lichtstrahl zusammengeführt hat?
    Das Pneuma . Der Schöpfungsfunke, der im Kern aller Dinge ruht und unauslöschlich ist. Gewiss, im Augenblick des Sterbens schwebt dieser Funke frei, hat sich des Lehmes entledigt – wenn auch nur für eine Sekunde. Gewiss kann ein erfahrener Alchimist seiner habhaft werden, kann Anspruch darauf erheben, ihn in das Reine und Wahre und Ewige umwandeln und dem Tod seine Beute abluchsen.
    Will ein Mann eine Frau retten, ist dies gewiss der Weg, das zu tun.
    Er kniet vor ihrem Bett nieder. Drückt seine nasse, nasse Wange an ihre Hand.
    »Ich bin nicht bereit, dich vorauszuschicken, Margaret. Ich möchte dich hier behalten. Bei mir.«
    Sprechen ist für sie eine Qual, aber sie muss zu ihm sprechen. Ein letztes Mal. Und so öffnet sie die verdorrten Lippen und flüstert:
    »Tom … du musst …«
     
    Der Apparat steht noch so, wie sie ihn zurückgelassen hat. Das Gestell. Die Töpfe und Tiegel. Das mit Ton verschlossene Glas. Die Kohle, die Steine.
    Ein letztes Mal überprüft er alles. Dann geht er, die Schritte immer mutloser, wieder zu ihr.
    Er hebt sie aus dem Bett, stöhnt nicht unter ihrem Gewicht, sondern ob der wahrhaft entsetzlichen Leichtigkeit dieses Leibs. Trägt sie ins Laboratorium und legt sie aufs Stroh. Auf ihr altes Matratzenlager, heruntergeschmuggelt vom Dachboden.
    Er bezieht Posten am Kohlebecken. Zündet die Kohlen an, verfolgt, wie die Flammen zusammenlaufen und sich erheben. Ebenso, wie er es bei ihr gesehen hat, ebenso, wie er es gewohnt war.
    Sein Hirn bäumt sich auf vor Angst und Schrecken. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und läuft ihm den Hals hinunter. Er hat sein angestammtes Gebiet verlassen, das fühlt er jetzt. Eine solche
Transmutation kann ein Naturphilosoph nicht bewirken. Er muss sich zum Priester machen.
    Sinnend senkt er den Kopf … nur um Raleghs spöttische Stimme zu vernehmen:
    Und zu wem betest du, Tom?
    Ich weiß es nicht.
    Was also ist dein Gebet?
    Ich weiß es nicht.
    Die einzigen Worte, die ihm schließlich in den Sinn kommen, sind die, die in ihrem Ring eingeprägt stehen. In dem Ring, der sich jetzt wie ein loser Kranz um den kleinen Finger ihrer Linken dreht. Er war sein Garant, dass nichts jemals ganz verlorengehen konnte. Alles, was je war, ist. Alles, was je ist, wird sein.
    Eine Lüge! Denn mit jeder Sekunde verliert er sie mehr. Er kniet neben ihr nieder. Fühlt, wie der Puls Schlag um Schlag aus ihren Handgelenken schwindet. Sieht, wie die Augen sich glasig eintrüben. Hört auf immer längere Pausen der Stille zwischen ihren rasselnden Atemzügen.
    »Margaret …«
    Sie ist stumm.
    » Margaret! «
    Wie betäubt rappelt er sich auf, blickt wild um sich. Sie ist hier . Rings um ihn herum. Wartet auf ihn.
    Hastig wirft er die

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