Alibi für einen König
Bridge
Gloucestershire
England
Europa
Welt
Universum.
Um das Ganze rankten sich farbige, sorgfältig abgestimmte Schnörkel.
Ob wohl alle Kinder ihren Namen auf diese Weise schreiben und dann die Schulstunden damit verbringen, Schnörkel zu machen? Er jedenfalls hatte es getan. Nichts in all den vergangenen Jahren hatte ihm seine Kindheit so nahegebracht wie der Anblick dieser leuchtenden, primitiven Farben. Dieser wunderbare, erhebende Augenblick, wenn die Schnörkel schön ineinander übergingen! Die Welt der Erwachsenen kannte nur wenige Höhepunkte von solcher Köstlichkeit. Am nächsten kam dem vielleicht noch ein ganz sauberer Golfschlag. Oder der Augenblick, da sich die Schnur strafft und man weiß, daß der Fisch angebissen hat.
Das kleine Buch gefiel ihm so gut, daß er mit Vergnügen darin blätterte. Andächtig las er jede der kindischen Geschichten. Eigentlich war das die Geschichte, der sich jeder Erwachsene noch entsann. Das blieb im Gedächtnis haften, wenn alle Perserkriege, Glaubenskämpfe und Friedens Verträge längst vergessen waren.
Als er zu Richard III. kam, stellte er fest, daß seine Geschichte »Die Prinzen im Tower« betitelt war. Klein-Ella schien den Prinzen längst nicht die gleichen Sympathien entgegengebracht zu haben wie Löwenherz, hatte sie doch jedes kleine »o« in der Geschichte säuberlich mit dem Bleistift ausgemalt. Und die beiden goldlockigen Knaben auf dem dazugehörigen Bild, die in dem Sonnenstrahl spielten, der durch das vergitterte Fenster fiel, waren jeder mit einer anachronistischen Brille versehen worden. Auf der leeren Rückseite des Bildes hatte jemand Schreibspiele gemacht. Was Klein-Ella anbetraf, waren die Prinzen eine Pleite.
Und dennoch war es eine fesselnde kleine Geschichte. Makaber genug, um jedes Kinderherz zu entzücken. Die unschuldigen Kinder, der böse Onkel, die klassischen Zutaten einer Geschichte von klassischer Einfachheit.
Sie hatte auch eine Moral. Es war die perfekte Mahnung zur Vorsicht.
»Aber der König hatte keinen Nutzen von seiner verruchten Tat. Das englische Volk war über seine kaltblütige Grausamkeit entsetzt und beschloß, er dürfe nicht länger mehr König sein. Es ließ einen entfernten Vetter Richards, Henry Tudor, aus Frankreich kommen, damit dieser an seiner Stelle zum König gekrönt werde. In der nun folgenden Schlacht starb Richard nach tapferem Widerstand. Aber er hatte seinen Namen im ganzen Lande verhaßt gemacht, und viele wandten sich von ihm ab, um für seinen Rivalen zu kämpfen.«
Nun, das war hübsch, aber nicht gerade farbig. Simpelste Reportage.
Er wandte sich dem zweiten Buch zu.
Das zweite Buch war ein richtiges Lehrbuch. Die zweitausend Jahre englischer Geschichte waren säuberlich aufgeteilt, damit man sie rasch überblicken konnte. Die einzelnen Abschnitte waren, wie üblich, Regierungsepochen. Kein Wunder, daß man daraufhin hervorragende Persönlichkeiten mit einem ganz bestimmten Herrscher verknüpfte und darüber vergaß, daß diese Persönlichkeiten auch unter anderen Königen gelebt hatten und bekannt gewesen waren. Völlig mechanisch wurden sie in ein bestimmtes Fach eingeordnet. Pepys: Karl II. Shakespeare: Elisabeth. Marlborough: Königin Anna. Nie kam einem der Gedanke, daß jemand, der Königin Elisabeth gekannt hatte, ebensogut auch Georg I. gekannt haben konnte. Von Kindheit an war man daran gewöhnt, alles in Regierungsepochen einzuteilen.
Das vereinfachte jedoch die Dinge, wenn man nur ein schlichter Polizist mit einem unbeweglichen Bein und einer Rückgratprellung war, der Nachforschungen über tote und längst zu Staub gewordene Könige anstellte, um nicht vor lauter Langeweile verrückt zu werden.
Erstaunt stellte Grant fest, wie kurz die Regierungszeit Richards III. gewesen war. Wer es fertigbrachte, in nur zwei Jahren einer der bekanntesten Herrscher in Englands zweitausendjähriger Geschichte zu werden, der mußte gewiß eine überragende Persönlichkeit sein. Hatte Richard sich auch keine Freunde gemacht, so hatte er doch zweifellos Menschen beeinflußt.
Auch das Geschichtsbuch war der Ansicht, daß er eine Persönlichkeit war.
»Richard war ein Mann von großen Fähigkeiten, kannte aber hinsichtlich seiner Mittel keine Skrupel. Er erhob bedenkenlos Anspruch auf die Krone und berief sich dabei auf die absurde Behauptung, die Ehe seines Bruders mit Elisabeth Woodville sei illegal gewesen, und folglich seien auch die Kinder aus dieser Ehe illegitime Nachkommen. Das Volk,
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