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Alibi

Alibi

Titel: Alibi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ackroyd sah in ihm seinen eigenen Sohn und erzog ihn dementsprechend, doch er war ein wilder Junge und bereitete seinem Stiefvater viel Kummer und Sorge. Trotzdem ist Ralph Paton in King's Abbot beliebt.
    Wie ich schon erwähnte, wird in unserem Dorf viel geklatscht.
    Jedermann merkte schnell, dass sich Ackroyd und Mrs. Ferrars gut verstanden. Nach dem Tod ihres Gatten wurde die Vertraulichkeit noch auffälliger. Man sah sie oft zusammen, und es wurde öffentlich gemunkelt, Mrs. Ferrars warte nur das Ende des Trauerjahres ab, um Mrs. Ackroyd zu werden.
    Die Ferrars lebten erst seit einem Jahr hier, doch Ackroyd umgab bereits seit vielen Jahren eine Aura von Klatsch. In den Jahren, als Ralph Paton heranwuchs, stand eine Reihe von Hausdamen der Wirtschaft Ackroyds vor, und alle wurden sie von Caroline und ihren Bekannten mit lebhaftestem Argwohn beobachtet. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das ganze Dorf seit fünfzehn Jahren erwartete, Ackroyd werde eine seiner Haushälterinnen heiraten. Die letzte, eine gefürchtete Dame, Miss Russell, herrschte bereits seit fünf Jahren unumschränkt, das ist zweimal so lange wie jede ihrer Vorgängerinnen. Man ist der Ansicht, dass es Ackroyd ohne das Auftauchen von Mrs. Ferrars diesmal wohl erwischt hätte. Dazu kam allerdings noch ein weiterer Faktor: Eine verwitwete Schwägerin und deren Tochter trafen unvermutet aus Kanada ein. Mrs. Cecily Ackroyd, die Witwe von Ackroyds jüngerem Bruder, wurde in Fernly Park ansässig, und ihr gelang es – Caroline zufolge –, Miss Russell in ihre Grenzen zurückzuweisen.
    Ich weiß nicht genau, was unter «Grenzen» zu verstehen ist, aber ich weiß, dass Miss Russell mit zusammengekniffenen Lippen umhergeht und mit größtem Mitgefühl von der «armen Mrs. Ackroyd» spricht, die auf die «Mildtätigkeit» des Schwagers angewiesen sei. «Das Gnadenbrot schmeckt so bitter, nicht wahr? Ich wäre todunglücklich, wenn ich mir meinen Lebensunterhalt nicht selbst verdienen würde.»
    Ich weiß nicht, wie sich Mrs. Cecily Ackroyd zur Angelegenheit Ferrars verhielt. Offenkundig lag es in ihrem Interesse, dass Ackroyd unvermählt blieb. Doch sie kam Mrs. Ferrars immer reizend – um nicht zu sagen überschwänglich – entgegen, wenn sie einander trafen. Caroline meint allerdings, dass dies so viel wie nichts beweise.
    In dieser Weise unterhielt man sich in King’s Abbot.
    Diese und verschiedene andere Dinge gingen mir durch den Kopf, während ich mechanisch meine Krankenbesuche machte.
    Ich hatte gerade keine besonders schwierigen Fälle, was vielleicht ein Glück war, da meine Gedanken immer wieder um den geheimnisvollen Tod von Mrs. Ferrars kreisten. Hatte sie sich selbst umgebracht? Wenn dem so wäre, hätte sie sicher einige Zeilen hinterlassen, um ihre Handlungsweise zu erklären. Wenn Frauen einmal den Entschluss zum Selbstmord fassen, wollen sie nach meiner Erfahrung auch den Gemütszustand schildern, der sie zu der unheilvollen Tat trieb.
    Wann hatte ich sie zum letzten Mal gesehen? Es dürfte eine Woche her sein. Ihr Verhalten damals war wie sonst gewesen. Dann entsann ich mich plötzlich, dass ich sie auch gestern noch gesehen hatte, ohne allerdings mit ihr gesprochen zu haben. Ich sah sie mit Ralph Paton spazieren gehen, was mich überraschte, da ich keine Ahnung hatte, dass er in King’s Abbot war. Ich dachte, er hätte sich endgültig mit seinem Stiefvater entzweit. Seit sechs Monaten hatte er sich hier nicht blicken lassen. Sie schlenderten Seite an Seite, steckten die Köpfe zusammen, und sie sprach sehr ernst auf ihn ein.
    Ich glaube mit Sicherheit behaupten zu können, dass mich in diesem Augenblick die Ahnung künftigen Unheils beschlich. In jedem Fall berührte das Zusammensein von Ralph Paton und Mrs. Ferrars mich unangenehm.
    Während ich noch darüber nachsann, stand ich plötzlich Roger Ackroyd gegenüber.
    «Sheppard!», rief er. «Gerade Sie wollte ich treffen. Welch fürchterliches Unglück!»
    Ich überlegte, was ich antworten sollte …
    «Sie hörten also bereits davon?»
    Er nickte. Es war ein harter Schlag für ihn gewesen, das sah ich. Seine roten Wangen schienen eingefallen, und von seinem sonstigen munteren Wesen war fast nichts zu spüren.
    «Es ist schlimmer, als Sie glauben», sagte er leise. «Kommen Sie, Sheppard, ich muss mit Ihnen reden. Könnten Sie mich nicht begleiten?»
    «Kaum. Ich muss noch drei Patienten besuchen und um 12 Uhr zur Sprechstunde zuhause sein.»
    «Dann auf heute Nachmittag

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