Alice at Wonderland
Platin. Kauf mich.< Meine Lider flattern, und das Teigwarenangebot zerfließt zu einer gro ßen Masse.
»Sind Sie sicher, dass Sie gesund sind?«, höre ich den Mann sagen.
»Ein halbes von dem da«, sage ich mit geschlossenen Augen und zeige irgendwohin.
»Tut mir Leid, wir schneiden nicht. Sonst müssen wir immer die Hälfte wegschmeißen.«
Okay, ich gebe auf. Hier ist nichts für mich zu holen. Ich gehe ohne Brot, und die Leute in der Schlange hin ter mir halten mich vermutlich für eine komplette Idiotin. Aber wenigstens nicht für einen Single. Um diesem elenden Terror zu entgehen, brauche ich dieses blöde Kochbuch. Ich mache mich auf den Weg zur Buchhandlung, ohne zu wissen, wie ich die Sache anstel len soll. Auch auf dem Einband steht ja dieses unsägliche Wort, in feurigen Buchstaben. Ich kann mir schon vorstellen, wie das abgeht. Selbst wenn ich das unsägliche Wort mit meiner Handtasche abdecke, spätestens an der Kasse ist Schluss. Ich höre die Verkäuferin quer durch den La den brüllen: »Henny! Was kostet denn das Single-Koch buch? Hier ist eine völlig bindungsunfähige junge Frau, die möchte gern ein Exemplar!«
Völlig eingeschüchtert wage ich es nicht einmal, die Buchhandlung zu betreten, und gehe vor dem Eingang unruhig auf und ab. Dann rufe ich Nina an. Nina ist seit
sechs Jahren mit Markus zusammen. Ein glückliches Paar. Ich habe ein Handy und einen Plan.
»Ja, hallo?«
»Hi, Nina, ich bin's.«
»Hi, Alice. Wo bist du gerade?«
Die klassische Mobilfunk-Kommunikation. Nina hat auf ihrem Display gesehen, wer sie da gerade anruft, und es ist nur natürlich, dass sie jetzt wissen will, wo sich diese Person befindet. Ich erinnere mich an meine Teen ager-Telefonate, als es nur Festnetztelefone gab, die da mals auch einfach nur Telefone hießen. Keine Sau hat es interessiert, von wo man anruft. Die erste Frage lautete immer: »Hi, wie geht's?« Eigentlich auch nur eine Flos kel, aber man konnte sich wenigstens einbilden, dass sich dahinter Anteilnahme verbirgt. Bei der klassischen Mobilfunk-Frage lässt sich Anteilnahme nur auslösen, wenn man sagt, man befinde sich im Krater eines gerade aus brechenden Vulkans. Da ich das nicht tue, antworte ich wahrheitsgemäß.
»In der Stadt. In der Gernotstraße. Sag mal, hast du ein bisschen Zeit?«
»Ja, natürlich.«
Das ist meine Nina. Die lässt mich nie hängen.
»Ich möchte ein ganz bestimmtes Buch. Könntest du mir den Gefallen tun und es mir besorgen?«
Nina antwortet nicht sofort.
»Wenn mich nicht alles täuscht, ist die Buchhandlung Wagner in der Gernotstraße.«
»Ja, na ja, fast, in der Nähe, könnte man sagen«, antwor te ich so unschuldig wie möglich.
Sie riecht den Braten: »Also, du befindest dich praktisch vor der Buchhandlung und bittest mich, in die Stadt zu kommen, um dir ein ganz bestimmtes Buch zu kaufen?«
Sie hätte »ein ganz bestimmtes Buch« nicht unbedingt so vorwurfsvoll dehnen müssen.
»Was für ein Buch ist das denn? Eins über tantrischen Sex? Mein Gott, Alice. Du bist doch schon über acht zehn.«
»Kein Sex. Das Single-Kochbuch«, antworte ich rasch.
»WAS?«
»Single-Kochbuch«, wiederhole ich mit gedämpfter Stimme. Ich meine, bereits den argwöhnischen Blick eines Passanten aufgefangen zu haben.
»Netter Versuch, Alice. Auf gar keinen Fall.«
»Bitte. Niemand wird dich verdächtigen. Du bist doch mit Markus zusammen.«
»Das wissen wir. Aber doch nicht die Verkäuferin. Und wer weiß, wer sonst noch zuguckt. Unter keinen Umstän den fass ich dieses Buch an.«
Hätte ich mir denken können. Die Paranoia ist so groß, dass nicht mal Verheiratete einen Schatten eines Verdachts auf sich fallen lassen wollen. Ich beginne mich zu fragen, wer um alles in der Welt eigentlich den Mut aufbringt, auf Single-Partys zu gehen.
Wenn ich nicht mal Nina überreden kann, sieht's schlecht aus. Ich versuche, einen zufällig vorbeikommen den etwa dreizehnjährigen Jungen zu überzeugen, mir das Buch aus dem Laden zu holen.
»He, Mami, was hast'n für'n Problem? Das ist kein Pornoschuppen. Das ist 'ne Buchhandlung. Hol dir das Teil doch selbst.«
Bei Allan und Barbara Pease, zwei führenden Kommunikationstrainern, hab ich gelesen, dass Mädchen gleich altrige Jungs in puncto Sprachgewandtheit und Klarheit der Aussage weit übertreffen. Zugegeben, sprachgewandt war dieser unverschämte Bengel nicht, an Klarheit der Aussage ließ der aber nichts zu wünschen übrig. Ich beschließe, in Zukunft keine Jungs mehr
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