Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
Papierkramdienstag nicht gefeit. Alice sah sie in ihrem gläsernen Büro sitzen, wie sie mit gerunzelter Stirn ihren Computer anstarrte.
Blinzelnd beäugte Alice die Zahlen auf ihrem Bildschirm und versuchte, ihnen mit schierer Willenskraft eine Bedeutung abzuringen. Aber es half alles nichts. Sosehr sie sich auch auf die Ziffern zu konzentrieren versuchte, immer wieder hatte sie das Gesicht eines Mannes vor Augen. Und zwar nicht bloß irgendeines Mannes. Des Mannes. Des Mannes für sie. Daran musste man in ihrem Job glauben, fand sie.
Alice ging ihr Traumprinz einfach nicht aus dem Kopf. Sie hatte ihn schon Hunderte Male getroffen – im Supermarkt und im Schwimmbad, in der Bibliothek, an der Bushaltestelle und im Pub. Andere Frauen wollten einen Partner mit dicken Muskeln, einem fetten Bankkonto und einem Schrank voll teurer Designerklamotten. Aber Alice’ Traumprinz würde wohl eher eine Spendensammeldose schwenken, als ein dickes Portemonnaie zücken. Heute war ihr Traumprinz ein Florist, der alle Frauen in der Stadt mit Blumen belieferte. Alice stellte sich vor, wie sie seufzend die Sträuße, die er ihnen brachte, in die Arme nahmen, enttäuscht, dass sie bloß vom eigenen Ehemann waren und nicht vom Traumprinzen selbst. Aus Versehen würde er Alice mit seinem Lieferwagen beinahe überfahren und dann sofort hinausgestürzt kommen, um nach ihr zu sehen. Ihr würde es gut gehen, sie hätte bloß entzückend gerötete Wangen und wäre ein wenig verstört. Er würde nichts davon hören wollen, dass sie allein mit dem Rad nach Hause fuhr, wo sie doch womöglich noch unter Schock stand. Stattdessen würde er das Fahrrad zwischen Tulpen und Azaleen hinten in seinem Lieferwagen verstauen und sie nach Hause bringen. Dank seines perfekten Gedächtnisses und seiner geradezu unheimlichen Fähigkeit, auf Anhieb die Lieblingsblume jeder Frau zu erraten, läge am nächsten Morgen ein riesengroßer Strauß Gerbera vor ihrer Haustür und daneben ein kleines Kärtchen mit einer Einladung zum Abendessen.
Alice seufzte. Das war das Problem an ihrem Job. Man wurde dafür bezahlt, den ganzen Tag über die perfekte Beziehung nachzudenken, wie also sollte man da nicht selbst ins Träumen kommen? Es war ein bisschen so, als würde man einen Alkoholiker hinter eine Kneipentheke stellen und ihm einschärfen, nur ja die Finger von dem Zeug zu lassen. Ob sie eine Romantoholikerin war?, fragte sich Alice. Gab es so was überhaupt?
Sie strich die Segel vor dem Papierkram.
»Will jemand Kaffee?«, fragte sie in die andächtige Stille hinein.
»Dich schickt der Himmel!«, rief Hilary, heilfroh um die kleine Ablenkung. »Soll ich dir helfen?« Mühsam wollte sie sich aus ihrem Stuhl kämpfen.
»Nein, bleib ruhig sitzen«, sagte Alice lächelnd, und Hilary strahlte sie dankbar über ihren dicken Schwangerschaftsbauch hinweg an.
»Bianca?«, hakte Alice nach.
»Bitte, gern«, murmelte Bianca, ohne die Augen von ihrem Bildschirm zu wenden. Alice’ Blick fiel auf ihren Kopf, wo der Januarsonnenschein goldene Lichter in die honigblonden Strähnchen zauberte, sodass ihre Haare aussahen wie gesponnenes Gold. Bianca sah immer so adrett und klassisch schick aus, wie Alice das nie im Leben hinbekommen würde. Selbst wenn sie sich die Mühe machte, ihre Bluse fürs Büro zu bügeln, wirkte Alice schon nach einer Stunde wieder so, als sei sie gerade mit ihren Sachen aus dem Bett gefallen.
»Hat dich heute Morgen jemand rückwärts durch eine Hecke gezerrt?«, hatte Audrey einmal unüberhörbar durch das ganze Büro gefragt. »Vor und wieder zurück?«
Bianca dagegen sah immer aus, als wachte sie jeden Morgen schon mit einem perfekten, dezent-zurückhaltenden Make-up auf und könnte gleich zu einem Fotoshooting gehen, sobald sie den Kopf aus den Kissen hob. Mit ihren stets frisch gewaschenen Haaren und den perlig-glänzenden ovalen Fingernägeln gehörte sie zu dem Typ Frau, den man nur ansehen musste, um gleich das Gefühl zu haben, eine Schande für das ganze weibliche Geschlecht zu sein.
»Hat da jemand Cappuccino gesagt?«, zwitscherte Cassandra laut. »Ich hätte gerne einen fettfreien.«
»Ich wollte eigentlich gar nicht …«
»Und einen von diesen Riesenkeksen. Zum Teufel mit der Diät.«
»Ähm, okay.«
Für einen Cappuccino musste sie zum Coffee Shop um die Ecke gehen. Eigentlich hatte Alice gar nicht rausgehen wollen – ein Nescafé aus dem Wasserkocher hätte es auch getan. Aber ein kleiner Abstecher nach draußen bedeutete
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