Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
wusste sie, ob die beiden wirklich zusammenpassten oder nicht.
Manchmal ging das Date während des Hauptgangs den Bach runter, oder es passierte irgendwann beim Dessert. Freundlich interessierte Nachfragen waren nun mal nicht genug. Dann bedankte man sich für den netten Abend, und jeder ging wieder seiner Wege. Alice sorgte dafür, dass sie gut nach Hause kamen, ging dann zurück ins Restaurant, räumte den Tisch ab und deckte ihn neu – für eine weitere Verabredung mit anderen Kandidaten.
Manchmal allerdings – im besten aller möglichen Fälle – knisterte und sprühte das Date in Alice’ Fantasie nur so vor Romantik. Das Gespräch sprudelte mit beidseitiger Begeisterung dahin, die Klienten lächelten sich strahlend an, auch wenn es gar keinen Grund dazu gab, und wenn Alice schließlich aus ihren Tagträumen erwachte, kritzelte sie ganz kribbelig zwei Namen aufs Papier.
Genau das war geschehen, als Alice sich vorgestellt hatte, wie Jason und Jennifer sich kennenlernten. Es hatte so heftig gefunkt, dass man förmlich spüren konnte, wie die Luft knisterte. Und nun heirateten die beiden! Alice spürte ein wohlig warmes Gefühl, das viel mehr war als Stolz. Es war das Gefühl, mit dem ein Maler sein Kunstwerk betrachtete.
Wann immer es ging, besuchte Alice ihr kleines Fantasierestaurant und brachte Menschen zusammen: in stillen Momenten bei der Arbeit, abends, wenn das Büro leer war, oder am Wochenende, wenn sie in ihrem Garten Unkraut rupfte. Montagsmorgens hatte sie dann immer eine lange Liste mit Namen und eine Menge Verabredungen zu arrangieren, die allesamt ihrer Fantasie entsprungen waren. Es war ihre Traumliste, ihre Liste romantischer Hoffnungen. Die realen Menschen hatten sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gesehen, und ihr Kennenlernen hatte nur in Alice’ Vorstellung stattgefunden. Aber in ihrem Kopf blühte die Romantik bereits üppig. Und wenn diese Beziehungen dann in der wahren Welt tatsächlich ihren Anfang nahmen, wuchsen und gediehen die meisten von ihnen ganz prächtig.
Langsam, aber beharrlich bohrte sich ein durchdringendes Geräusch in Alice’ Bewusstsein. Es wurde immer lauter und eindringlicher, und das Restaurant um sie herum begann, in sich zusammenzustürzen. Widerstrebend riss sie den Blick vom Fenster los, und plötzlich war sie wieder im Büro, wo das Telefon läutete. Widerwillig griff sie zum Hörer.
»Könnte ich bitte mit Audrey Cracknell sprechen?«, verlangte der Anrufer.
»Tut mir leid, aber sie ist derzeit nicht im Haus«, erwiderte Alice. Sie alle hatten erleichtert aufgeatmet, als Audrey vorhin verkündet hatte, sie habe noch zu tun und werde nicht mehr ins Büro zurückkommen. Den ganzen Tag war sie schrecklich schlechter Laune gewesen, und Alice fragte sich, ob das womöglich etwas mit dem BdP-Treffen am Vortag zu tun haben könnte, denn sie hatte beobachtet, wie Audrey von dort verschwunden war, mit hochrotem Nacken und verkniffenem Gesicht.
»Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen? Ich bin Alice.«
»Oh, ähm, ich weiß nicht. Also. Na ja, vielleicht. Öh. Ehrlich gesagt, ja. Ich heiße Max, Max Higgert. Es geht um, äh, die Treffen, die bisher für mich arrangiert wurden. Ähm, also, das heißt, die Treffen, die Audrey für mich arrangiert hat.«
Alice hörte aufmerksam zu.
Zwanzig Minuten später legte sie den Hörer auf. Sie wollte ihm sehr gerne helfen, aber das war eine etwas heikle Angelegenheit.
Max hatte ihr schließlich nach längerem Zögern berichtet, dass die Damen, die man für ihn ausgesucht hatte, so gar nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Eigentlich suchte er eine warmherzige, liebevolle Frau; jemanden, der häuslich und ungekünstelt war und mit dem man abends auch mal gemütlich vor dem Fernseher sitzen konnte. Stattdessen wollte Audrey ihn mit reichen, auf gesellschaftlichen Aufstieg bedachten Frauen in Designerkleidern verkuppeln; Frauen, die sich gern als Trophäe präsentierten und bei ihrer Jagd nach einem solventen Ehemann über Leichen gingen. Solche, bei denen Max die Beine in die Hand nahm und das Weite suchte.
Alice konnte nicht anders. Eigentlich wusste sie, dass es einem beruflichen Selbstmord gleichkam, sich in Audreys Partnervermittlung einzumischen. Wenn die Angestellten untereinander in den Karteien der Kollegen wilderten, drückte man beide Augen zu, aber Audreys Liste war unantastbar. Dennoch wusste Alice, sie würde nachts nicht mehr schlafen können, wenn sie das Fehlverhalten der Chefin einfach tatenlos
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