Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
angepriesen wurden. Als Krimizuschauer musste man ganz bei der Sache sein und pausenlos mitdenken. Eine ausgewogene Mischung aus Morse, Cracker und Prime Suspects versicherte Audrey, dass sie geistig rege blieb und einen rasiermesserscharfen Verstand hatte. Nur heute Abend nicht. Heute Abend war sie unkonzentriert und zerstreut.
Sie setzte den Sherry an die Lippen. Genau in diesem Moment sprang Pickles ihr auf den Schoß, sodass die Flüssigkeit gegen Audreys Oberlippe schwappte und einen klebrigen Schnurrbart hinterließ. Kurz wallte Ärger in ihr auf, aber sofort beruhigte sie sich wieder. Sie konnte Pickles einfach nicht böse sein. Er war ihr ständiger Begleiter, ihr einziger wahrer Freund. Ganz gleich, wie anstrengend ihr Arbeitstag auch gewesen war, wenn sie nach Hause kam, erwartete er sie jedes Mal glücklich schnurrend, sobald sie zur Tür hereinkam. Von Pickles fühlte sich Audrey geliebt, und im Gegenzug genoss er bei ihr fast völlige Narrenfreiheit. Die beiden waren ein eingespieltes Team, sie und Pickles.
Während Pickles sich pfötelnd auf ihrem Schoß im Kreis drehte, streichelte Audrey geistesabwesend sein weiches Fell. Ihre Hand folgte den vertrauten Konturen der Katze, von der Stelle gleich hinter den Ohren seitlich am Rückgrat entlang bis zur Schwanzspitze, um gleich darauf wieder vorne bei den Ohren zu beginnen. Nach drei oder vier Strichen war sie vollkommen in Gedanken versunken. Audrey sah nichts anderes mehr als John.
In Audreys Tagträumen stellte sie sich John stets in ihrem Leben vor, nicht in seinem. Dass sie sich ausmalte, wie er mit einem Whisky entspannt in ihrem Wohnzimmer saß oder in der Küche mit den Töpfen klapperte, um ein romantisches Abendessen zu zaubern, war nicht weiter verwunderlich. Schließlich war sie noch nie bei John zu Hause gewesen. Sie wusste nicht einmal, wo er wohnte. Immer, wenn sie das Gespräch darauf brachte, erwiderte er ausweichend etwas wie »ganz in der Nähe«, um dann das Thema rasch wieder auf sie zu bringen.
Audreys Abende mit John fanden stets auf neutralem Boden statt. Dann trafen sie sich auf dem ungefährlichen Terrain jenseits ihrer Wohnungstür. In ihrer Aufregung war sie immer viel zu früh fertig und lief dann auf dem Teppich zwischen Küche und Wohnungstür hin und her, wobei sie zur Nervenstärkung an einem Glas Sherry nippte und dabei regelmäßig nervös durch das gesprenkelte Glas lugte. Ungeduldig erwartete sie ihr Date schon in voller Montur, weshalb es auch nie einen Grund gab, ihn über die Schwelle und in den Flur zu bitten.
Wenn John dann kam, küsste er ihr zur Begrüßung stets die Hand, fuhr mit ihr zum Ball, und am Ende des Abends brachte er sie wieder nach Hause. Ihr Angebot, bei ihr noch einen Schlummertrunk zu nehmen, lehnte er höflich, aber bestimmt ab. Charmant wie immer sagte er: »Wenn ich im Laufe des Lebens eins gelernt habe, dann das: einen wundervollen Abend zu beenden, wenn er am schönsten ist. Und das war es heute – ein wundervoller Abend.«
Somit hatte Audrey nicht viel Handfestes, das ihr dabei geholfen hätte, John in ihren Tagträumen ein Zuhause zu geben.
Es gab nur einen Ort, den sie in- und auswendig kannte – den Innenraum seines Autos. Das aufgeregte Nervenflattern, das sie an ihren gemeinsamen Abenden stets befiel, legte sich, sobald John die Beifahrertür seines Audi öffnete und sie in einer fließenden Bewegung hineinglitt. Die Autowerbespots im Fernsehen waren aus gutem Grund so verführerisch, dachte sie, denn Johns Wagen war wie dafür gemacht, sich darin sicher und behaglich zu fühlen. Vom gewollt zurückhaltend gestalteten Armaturenbrett bis hin zu den cremefarbenen Ledersitzen vermittelte alles an diesem Auto Audrey das Gefühl von vollkommener Geborgenheit. Mit der Hand fuhr sie über die Innenseite der Tür und goutierte die edle Schönheit des Griffs, während John um das Auto herum zur Fahrerseite ging. Genießerisch atmete sie den Duft des Wagens ein, um schließlich das aufregende Kribbeln zu genießen, das sie in der Magengegend überfiel, sobald der starke Motor angelassen wurde und John den Wagen vom Bordstein auf die Straße und auf ihren gemeinsamen Abend zusteuerte.
Das war der Ausgangspunkt all ihrer Fantasien. Audreys Vorstellungen waren nicht die wilden Träume einer jungen Frau, vielmehr schwärmte sie für häusliche Gemeinsamkeit und Partnerschaft. Sie stellte sich vor, wie John sie an einem verregneten Nachmittag von der Arbeit abholte oder wie er sie zu einem
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