Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
Stunden!
Penibel strich sie die Plastikhülle ihres Ballkleides glatt. Das gute Stück war bodenlang und petrolblau, großzügig geschnitten und ein treues, oft und gern getragenes Lieblingsteil. Die halblangen Ärmel und der nicht zu tiefe Ausschnitt kaschierten vorteilhaft Audreys Problemzonen: die schlabbrigen Oberarme und das knittrige Dekolleté. Die cremefarbene Stola dazu musste Audrey noch bügeln, aber den Termin beim Friseur in der Mittagspause hatte sie sich bereits bestätigen lassen, und ihre besten Wildlederpumps hatte sie schon am Wochenende gebürstet.
Noch im Mantel griff sie nach dem Telefon.
»Hallo, Geraldine? Hier ist Audrey Cracknell. Ich wollte nur noch mal nachfragen, ob auch wirklich ganz bestimmt alles klappt mit John Marlowe morgen Abend … Er muss um Punkt halb acht hier sein. Ja, das habe ich Ihnen bereits gesagt … Ja, vielleicht auch schon zweimal.«
Audreys Blick wanderte zu ihrem Spiegelbild, das ihr aus dem Spiegel oberhalb des Telefontischchens entgegenschaute, und sie strich sich die widerborstigen orangefarbenen Haare glatt. Sie hatten weder Form noch Struktur. Vor Jahren einmal hatte jemand die gemeine Bemerkung gemacht, dass ihre Haare Ähnlichkeit mit der Perücke eines Zirkusclowns hätten. Die Erinnerung daran schmerzte noch immer.
»Jedenfalls ist Abendkleidung erwünscht«, plapperte sie unbeirrt weiter in den Hörer, »und ich möchte, dass John den kornblumenbla… Ach, das habe ich auch schon erwähnt? Wie dem auch sei, doppelt hält besser … Also dann, auf Wiederhören.«
Und damit rauschte Audrey mit wehendem Mantel in die Küche, Pickles miauend auf den Fersen. Der morgige Abend würde einfach perfekt werden. Ihr ausladender Busen bebte bereits beim Gedanken daran, wie sie die Tür aufmachte und John auf der Veranda stehen sah, der sich leicht verbeugte, um ihr zur Begrüßung die Hand zu küssen. Er war einfach ein umwerfend gut aussehender Mann. Gut aussehender Gentleman, korrigierte sie sich, während sie ihr Tiefkühlgericht aus der Gefriertruhe holte. Nicht auszudenken, wie sie ohne ihn all die Bälle des Berufsverbands der Partnervermittler durchgestanden hätte. Er spielte seine Rolle absolut perfekt, holte Getränke für die Damen, machte mit den Herren Witze und nickte versonnen, wenn sie von ihren gemeinsamen Urlauben erzählte, die Audrey den Anwesenden nur zu gern ausführlich schilderte. Nach den ersten ein, zwei Verabredungen brauchte sie ihn nicht mal mehr zu bitten, einen Ehering zu tragen.
Audrey nahm die Gabel, stach damit ein paar Mal die Cellophanfolie auf ihrem Fertiggericht ein und schob es dann in die Mikrowelle.
Ja, sie und John passten so gut zusammen, dass sie eigentlich gar nicht verstand, warum sie nicht auch im wahren Leben ein Paar waren. Seit der Gründung ihres eigenen Unternehmens hatte er sie zu jedem offiziellen Anlass begleitet. Es wäre nicht gut fürs Geschäft gewesen, hätte sich herumgesprochen, dass jemand, der sich auf die Fahnen geschrieben hatte, das Singledasein seiner Klienten ein für alle Mal zu beenden, selbst alleinstehend war. Also hatte sie die Sache kurz entschlossen in die Hand genommen und sich einen netten Herren als Begleitung für den Abend bestellt – natürlich erst, nachdem Geraldine ihr schriftlich zugesichert hatte, John würde keine anderen Buchungen von Damen aus der Partnervermittlungsbranche annehmen. Denn nur so würde die wahre Natur ihrer Beziehung auch sicher ihr kleines Geheimnis bleiben. Wie hätte sie denn ahnen sollen, dass bald alle annehmen würden, sie seien seit Jahren liiert? Aber warum auch nicht? Sie hatte die Leute einfach in dem Glauben gelassen, schließlich hatten sie sich das alles selbst zusammengereimt. Audrey hatte nicht gelogen.
Und so waren sie im Laufe der Jahre für die Außenwelt Audrey und John geworden; Audrey und John Cracknell. Eine klitzekleine Unwahrheit, in die sie unversehens hineingeschlittert war, bis sie ihn irgendwann selbst als ihren Mann angesehen hatte. Was er in gewisser Weise ja auch war. Und sie war sich sicher, dass er es ebenfalls wollte, seiner altmodischen Zurückhaltung zum Trotz, die ihn am Ende eines Abends, wenn er sie nach Hause brachte, immer dazu zwang, standfest im Auto sitzen zu bleiben. Auch er spürte sicher, wie ihm das Herz in der Brust schneller schlug und sein Atem heftiger ging, wann immer sie sich voneinander verabschiedeten.
Die Mikrowelle meldete sich mit einem lauten Pling. Audrey schob ihr Fertiggericht auf einen
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