Alicia - Gefaehrtin der Nacht
ich und kämpfte erneut die aufsteigende Übelkeit nieder.
«Die Fahrt ist bezahlt», sagte der Fahrer, ohne auch nur den Kopf zu wenden.
«Oh», sagte ich und stieg aus. Noch ein Rätsel.
Nun stand ich erst einmal etwas ratlos und unschlüssig vor der Haustür. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte an der Hauswand hoch. Meine Wohnung lag im dritten Stock, da konnte ich kaum die Fassade emporklettern. Lena hatte für alle Fälle einen Ersatzschlüssel, aber die wollte ich an diesem Morgen nicht behelligen, zumal ich nicht einmal wusste, wie spät es war. In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür und eine ältere Dame, die im Erdgeschoss wohnte, trat heraus. Ich grüßte höflich und schlüpfte an ihr vorbei, ehe sie mich genauer in Augenschein nehmen konnte.
« Guten Morgen, Frau Bach, wie sehen Sie denn … », hörte ich noch, ehe die Tür zwischen uns ins Schloss fiel. Ich verzichtete auf den Fahrstuhl und war in wenigen Augenblicken im obersten Stockwerk angelangt. Und nun, dachte ich, was jetzt? Kein Handy, um den Schlüsseldienst anzurufen. Ich legte meine Hand auf den Knauf, drehte ihn herum und war nicht einmal sehr erstaunt, dass die Tür sich öffnen ließ. Dabei wusste ich ganz genau, dass ich am Vorabend abgeschlossen hatte. In diesen Dingen war ich immer äußerst penibel, es war einfach ausgeschlossen, dass ich vergessen haben sollte, den Schlüssel wie immer zweimal herumzudrehen.
Ich trat ein und blickte mich vorsichtig um, als wäre es nicht meine Wohnung, die ich seit gut fünf Jahren bewohnte, sondern das Heim einer anderen Person. Jeder Quadratzentimeter war mir vertraut, ich hatte die Wände selbst gestrichen und die Teppiche ausgesucht, hier im Flur hatte ich einmal Rotwein verschüttet, was im hellen Veloursboden einen Fleck hinterlassen hatte, der sich nie wieder ganz entfernen ließ, und dort, am Eingang zum Schlafzimmer, war der Lack am Türrahmen abgeplatzt, als Max ausgezogen war und die Möbelpacker mit seiner verdammten Hantelbank hängen geblieben waren. Seit seinem Auszug wohnte ich allein, es war also ganz und gar mein Reich, mein Rückzugsort, und überall fanden sich Spuren meines Lebens. Dennoch fühlte es sich seltsam fremd an an diesem Morgen.
Ich dur chquerte den Flur wie eine Schlafwandlerin und betrat das Wohnzimmer. Das Erste, was ich sah, war meine Handtasche, die unübersehbar auf dem großen ovalen Esstisch thronte, als hätte ich sie niemals mitgenommen. Konnte es sein, dass ich am Vorabend ohne sie das Haus verlassen hatte? Wann hatte ich Geld oder Handy gebraucht? Ich sah mich in die Bar gehen, wo Laurean auf mich gewartet hatte. Wir hatten nichts getrunken, dann aber ein Taxi zu dem Lokal genommen, in dem die Feier stattfand. Ich war sicher, den Fahrer bezahlt zu haben, und später, hatte ich nicht wutentbrannt die Geldscheine hervorgekramt und Laurean in die Hand gedrückt, als ich mich von ihm zurückgewiesen fühlte?
Es war alles höchst verwirrend, und i ch verstand überhaupt nichts mehr. Nun, da ich mich wieder in meiner gewohnten Umgebung befand, kamen mir die Geschehnisse der Nacht mehr denn je wie ein Traum vor, eine kranke Fantasie. Ich ging hinüber in das angrenzende Arbeitszimmer und stellte den Computer an. Laurean. Wer war dieser Mann? Ich wollte sein Foto noch einmal ansehen, musste mich vergewissern, dass es ihn tatsächlich gab. Aber dann schien es, als hätten weder Champagne & More noch er jemals existiert. Die Seite war einfach nicht mehr auffindbar. Ich versuchte die unterschiedlichsten Suchanfragen, aber keine ergab auch nur einen einzigen passenden Treffer. Schließlich gab ich es auf. Ich schlug die Hände vor das Gesicht, doch es half nichts, immer wieder schoben sich rauschhafte Erinnerungsfetzen in mein Bewusstsein, die mich gleichermaßen verstörten und erregten. Sobald ich Laureans gebeugten Hals vor mir sah, spürte ich den Geschmack seines Blutes auf meiner Zunge. Es war köstlich gewesen und berauschender als Alkohol, dabei hatte es mich nicht benebelt, sondern hatte meine Sinne klarer gemacht als je zuvor, und so hatte ich auch den Akt empfunden, in dem wir uns schließlich vereinigten. Liebe oder Sex waren Worte, die nur unzulänglich beschrieben, was ich mit Laurean erfahren hatte. Und doch konnte es unmöglich real gewesen sein, dass ich mich gebärdet hatte wie ein Tier, der wilde, endlose Paarungsvorgang, dazu all das Blut, nein, das war doch unmöglich, beschämend und abartig …
Was konnte dann der Grund
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