Alicia - Gefaehrtin der Nacht
für diese verwirrenden Bilder sein? Drogen, Übermüdung, oder verlor ich vielleicht den Verstand? Erschöpft und traurig stand ich auf und schwankte hinüber in das Schlafzimmer. Ich streifte das Kleid ab und ließ es zu Boden fallen, dann warf ich mich auf das Bett und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte ich nicht das Gefühl, geschlafen zu haben, dennoch mussten einige Stunden vergangen sein. Vor den Fenstern war es dunkel, das Zimmer war finster, dennoch spürte ich, dass ich nicht allein war.
« Laurean?», flüsterte ich.
« Ich bin gekommen, um dich zu holen», antwortete er. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich Laurean in grünlich leuchtenden Umrissen erkennen konnte, obwohl es doch an sich stockdunkel war. Seltsam, dachte ich, alles fühlt sich so anders an.
«Wie spät ist es?», fragte ich und streckte mich. «Ich muss morgen zeitig aufstehen, du weißt schon, Lenas Hochzeit, ich muss um neun Uhr an der Kirche sein …»
Sein heiseres Lachen jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken.
«Warum lachst du? Kommst du mit, begleitest du mich?»
Wie auch immer er in die Wohnung gelangt war, ich war einfach nur froh, dass er bei mir war. Wenn es nach mir ginge, wollte ich am liebsten keinen Schritt mehr ohne Laurean tun. Die ängstliche Verwirrung, die mich am Morgen noch gelähmt hatte, war verschwunden, sobald ich seine Stimme gehört hatte. So verliebt war ich schon seit Langem nicht mehr gewesen, und es war noch viel mehr als das. Mein Körper begann zu vibrieren, ich fühlte mich ganz leicht, beinahe als schwebte ich, und zugleich voller Energie. Ich streckte eine Hand aus, um Laurean zu mir auf das Bett zu ziehen, dabei spürte ich, wie sich Muskeln in meinem Körper anspannten, von denen ich nicht gewusst hatte, dass ich sie besaß. Es war ein gutes Gefühl.
«Du wirst ebenso wenig in eine Kirche gehen wie ich.»
«Was sagst du denn da? Natürlich muss ich in die Kirche gehen, ich bin doch die Trauzeugin. Lena ist meine beste Freundin, das weißt du.»
Ich leckte mir die Lippen , dann begann ich zu knurren. Das Geräusch kam wie von selbst aus der Tiefe meines Körpers, ein tiefes Grollen, das meinen Brustkorb anschwellen ließ. Plötzlich sah ich Laurean mit anderen Augen, das war nicht mehr dieses zarte Gefühl der ersten Verliebtheit. Ich wollte ihn besitzen, sein Blut, nein, ich wollte es nicht nur, ich wusste, dass ich es brauchte. Diese Empfindung war ungewohnt und brannte schmerzhaft, ich spürte sie in allen Poren und fletschte ungeduldig die Zähne.
«Siehst du?» Laureans Stimme war heiser. «Du wirst weder morgen noch jemals wieder eine Kirche betreten.»
«Ja», sagte ich und hatte schon vergessen, dass mir dieses Vorhaben eben noch so wichtig erschienen war. Auch wenn ich noch nicht vollends erfasst hatte, weshalb Laurean das sagte, zweifelte ich nicht daran, dass er recht hatte. In diesem Augenblick war ich außerstande, darüber nachzudenken, was dies für Lena und den morgigen Tag bedeuten würde. Und für mich. Mit jeder Faser meines Körpers lechzte ich nach Laurean, für anderes gab es keinen Raum mehr. In der Finsternis sah ich seine Augen aufblitzen. Gab es schwarze Edelsteine? So kamen sie mir vor, verführerisch und kostbar.
«Später», sagte er. «Erst die Beute.»
So begann die erste Nacht, in der Laurean und ich gemeinsam durch die Straßen streiften und er mich lehrte, nach Beute Ausschau zu halten. Ich hatte mich nach seinen Anweisungen angekleidet. Es war wichtig, dass wir nicht auffielen, sagte er. Äußerlich betrachtet waren wir ein modernes, gutaussehendes Pärchen wie viele andere. Laurean trug Chinos und Sakko, ich hatte mir ein luftiges Sommerkleid angezogen. Die Nacht war lau, während ich innerlich glühte. Die Gier wuchs mit jeder Stunde, die verging, ohne dass wir ein geeignetes Objekt ausmachen konnten. Du musst Geduld haben, Isa, hatte er immer wieder gesagt, du musst lernen, den richtigen Moment abzuwarten.
Schließlich gelangten wir in einen Park, wo wir uns im Schutz der Sträucher aufhielten, bis endlich, endlich eine einzelne Person herannahte. Laurean nickte mir zu. Ich sah, wie seine Augen vor Erregung glommen, dann wandte ich mich ab und trat auf den Weg.
Der Mann, der mir entgegenkam, erschrak kurz, dann ging er beruhigt weiter, als er mich sah. Eine Frau, allein im Park kurz nach Mitternacht, die hatte wohl mehr zu befürchten als er. Als er auf meine r Höhe war, wirbelte ich herum und schlang meine Arme
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