Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Alicia - Gefaehrtin der Nacht

Titel: Alicia - Gefaehrtin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
Vom Netzwerk:
Augäpfeln ab. Der jedoch senkte nicht einmal den Blick, wie es seiner Stellung entsprochen hätte. Er hielt der Musterung mit unbewegter Miene stand. Wie kam es, dass dieser Jungsalizar von einem derartigen Hochmut erfüllt war? Er hatte seine Höhle zum allerersten Mal verlassen und stand nun Auge in Auge mit dem Fürsten. Das Senken des Hauptes und ein anmutiges Darbieten seiner Halsbeuge wären angemessen gewesen. Es war ein fester Bestandteil des Initiationsrituals, dass der Fürst oder einer der Nobilat dem Nachwuchs den ersten Biss zufügte, je nachdem, für welche Kaste er bestimmt war. Dann wurde ihm oder ihr ein Begleiter zugewiesen, der die Abkömmlinge auf den ersten Streifzügen durch die Nacht begleitete und sie in dem Wissen unterwies, wie wir uns unerkannt und gefahrlos in der Welt der Menschen bewegten. Sobald die jungen Salizaren über alle notwendigen Fähigkeiten verfügten, erhielten sie ihr Blutamulett, das sie als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft auswies und sie berechtigte, sich zu paaren. Bis dies nicht geschehen war, galten die jungen Salizaren wenig und hatten sich jederzeit allen anderen Stammesangehörigen, mit Ausnahme der Inzepat, unterzuordnen.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Laurean eine drohende Haltung angenommen hatte. Ich trat einen Schritt zur Seite und beobachtete, was weiter geschehen würde. Laurean fletschte bereits die Zähne, es war möglich, dass er sich jeden Augenblick auf den Jüngling stürzen würde. Seine Augen loderten vor Zorn und Blutdurst, dann stieß er ein heiseres Brüllen aus, das die Gruft bis in den letzten Winkel erfüllte: «Sprich! Wer bist du?»
    Der junge Salizar schwieg, aus einer Art unnatürlichem Trotz, wie es schien, dabei flackerte sein Blick. Doch er verharrte reglos. Widerwillig bewunderte ich den Mut, der ihn nicht zurückweichen ließ. Laurean könnte Alesh, oder wer immer er war, auf der Stelle vor unseren Augen töten. Dazu genügte ein einziger Biss. Falls es dem Fürsten gefiele, den Widerspenstigen zu einem Dasein als Blutsklave zu bestimmen, wäre sein Schicksal ebenfalls besiegelt. Doch bevor Laurean handeln konnte, ertönte ein Ruf aus der Menge unterhalb der Empore.
    «Halt!»
    Murrend wichen die Salizaren zurück, sodass sich erneut eine Gasse zwischen ihnen bildete. Einer von ihnen, der die Umstehenden beinahe um Haupteslänge überragte, trat heraus. Entsetzt erkannte ich, dass es Desan war. Laurean straffte die Schultern, als er den abtrünnigen Bruder erkannte, und richtete sich zu voller Größe auf. Währenddessen stieg Desan zur Empore hinauf und stellte sich vor den Jüngling. Dieser senkte nun den Kopf und glitt zur Seite, womit nun eindeutig feststand, wem er die gebotene Ehrerbietung entgegenbrachte.
    «Was willst du?», fragte Laurean mit kalter Stimme. Die Brüder standen kaum noch einen Schritt voneinander entfernt, Auge in Auge. Wenngleich alle Salizaren einander ähnelten, so hätte man diese beiden bei flüchtigem Hinsehen leicht verwechseln können. Warum also schwoll mein Herz vor Liebe und Stolz an, wenn ich Laurean betrachtete, während der Anblick seines Bruders mich mit Ekel und Wut erfüllte? Mein Blick ging zwischen den beiden hin und her, während sie sich böse anfunkelten. Da erkannte ich den Unterschied: Von Laurean ging ein edles Strahlen aus, im Zwielicht der Gruft schien seine blasse Haut beinahe silbrig zu schimmern, Desans Schönheit dagegen wirkte stumpf und kalt.
    «Was ich will?»
    Desan stieß ein wütendes Keuchen hervor.
    «Es ist ja wohl eher die Frage, was du willst, edler Fürst.»
    «Sprich endlich, oder ich lasse dich wieder den Inzepat vorwerfen! Wenn es mir gefällt, werde ich dich ihnen für immer als Blutsklave überlassen. Also hüte deine Zunge!»
    «Nur zu, überlasse mich deinen nichtswürdigen Untertanen! Du wirst bald keine mehr haben, denn wie willst du siegen gegen die Mönche, ohne Alesh, die Frucht deiner Menschenhure?»
    Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, da lösten sich meine Füße schon vom Boden . Ich sprang mit einem gewaltigen Satz auf Desan zu und warf ihn zu Boden. Mein Angriff hatte ihn erneut überrumpelt. Bevor er noch reagieren konnte, hatte ich die Reißzähne schon in seinen Hals gegraben. Sie durchdrangen das dichte Geflecht seiner Muskeln und Sehnen und ich ließ auch nicht los, als er sich aufbäumte und mich herumwarf. Das Gewicht seines Körpers presste mich nun mit voller Kraft zu Boden. Ich keuchte auf, dabei biss ich weiter und

Weitere Kostenlose Bücher