Alicia - Gefaehrtin der Nacht
Alesh schenken können? Du bist unserm Volk noch kostbarer als unser aller Leben, Alicia, die zukünftige Fürstin der Salizaren.»
Da war sie wieder, diese Last, die mir die Brust einschnürte und das Atmen erschwerte.
«Sag das nicht, Laurean. Wie sollte ich die Fürstin der Salizaren sein? Du bist unser Fürst, und …»
«Schweig!», befahl Laurean und zog mich neben sich. Ich fügte mich schweigend. So war es immer. Die Frau in mir, der Mensch also, der ich einmal gewesen war, hätte ganz sicher aufbegehrt, denn niemand, kein Vorgesetzter oder sonst jemand, hätte so mit mir sprechen dürfen. Doch als Salizarin fügte ich mich dem Befehl unseres Gebieters so bereitwillig wie alle Angehörigen des Stammes. Laureans Worte und Taten standen über allen und die Tatsache, dass er mich als Gefährtin erwählt hatte, bedeutete noch lange nicht, dass ich mir mehr herausnehmen durfte. Ich wollte es auch gar nicht, ich wollte ihm gehorchen, denn ich wusste, dass es so richtig war. Dieser Gehorsam demütigte mich nicht, eher war das Gegenteil der Fall, denn als Salizarin führte ich ein weitaus stolzeres und freieres Leben, als ich es unter den Menschen je vermocht hatte. Wenn ein Salizar seinem Fürsten gehorchte, dann lag darin mehr Würde als in dem Streben nach vermeintlicher Freiheit und Unabhängigkeit, das die Menschen gegen jede Form von Obrigkeit aufbegehren ließ, und das doch immer vergeblich sein musste.
Ich schloss die Augen.
Komm, sagte Laureans Stimme. Sie kam aus meinem Inneren.
Siehst du, sagte die Stimme, ich bin immer da.
Du bist … ja, ich spüre dich, antwortete ich, ohne die Lippen zu bewegen.
Fühle, was ich fühle und sehe, was ich sehe, so wie ich immer sehe und fühle, was du siehst und fühlst. Wir sind eins.
Ja, flüsterte ich, jetzt sehe ich es.
Komm also, sagte er, und seine Stimme war meine Stimme.
Und so ruhten u nsere Körper auf dem zerwühlten Lager aus Teppichen und Decken, während unser Geist sich zu einem vereint hatte. Gemeinsam stürzten wir uns in den berauschenden Strudel menschlicher Träume. Als die Sonne ihren hohen Lauf beendet hatte und hinter dem Horizont versunken war, öffneten wir gleichzeitig die Augen. In diesem Augenblick, da wir wieder in der realen Welt angekommen waren, fühlte ich mich seltsam allein und verlassen, obwohl Laurean doch neben mir lag. Eben noch hatten wir als ein vereintes Wesen existiert, ich hatte mich in seinem Körper bewegt wie er in meinem und ich hatte seine Gedanken gedacht. Ich war eins gewesen mit dem Fürsten der Salizaren.
«Wie hast du das gemacht, Laurean?», flüsterte ich, noch bevor wir uns regten und erhoben. Doch ich erhielt keine Antwort. Stattdessen sprang Laurean auf, als hätte er mich nicht gehört.
«Wir versammeln uns in der Gruft», sagte er. «Komm , es ist an der Zeit. Du wirst Alesh sehen.»
«Oh!»
Das war alles, was ich herausbrachte. Alesh. Das Leben, das aus Laureans Lenden entsprungen war und das ich in mir getragen hatte.
Nun, da unsere Begegnung unmittelbar bevorstand, horchte in mich hinein und suchte vergeblich nach einem der Gefühle, die man von einer Mutter erwarten würde. Was war mit mir los, warum fand sich nichts von dem, was ich in meinem ganzen Menschenleben gelernt hatte? Müsste ich nicht von der Wiedersehensfreude überwältigt sein? Dann dachte ich, dass der Mensch wohl das einzige Lebewesen auf Erden war, das sich für seine Gefühle, oder deren Abwesenheit, zermürben würde. Und dass beinahe alle anderen Tiere ihre Jungen nur aus dem Grund warfen, damit der Fortbestand der Art gesichert war, und nicht für ihr persönliches Glück.
Laurean hatte bereits seine Abolla übergeworfen und ich beeilte mich, es ihm nachzutun. Dann folgte ich Laurean zur Treppe und hinunter in die Gruft, in der das Volk bereits vollzählig versammelt darauf wartete, dass der Fürst zu ihnen sprechen würde. Die Vernichtung einer der Ihren hatte sich bis in den letzten Winkel des Gewölbes herumgesprochen. Die Salizaren standen dicht gedrängt beieinander, beschienen von zahlreichen Feuern und Fackeln. Das allgemeine Knurren und verstummte erst, als Laurean auf die Plattform oberhalb des Gewölbes trat und eine Hand erhob.
«Hört, ihr Brüder und Schwestern », rief Laurean mit tiefer Stimme. «Ihr müsst euch wappnen für den Kampf! Die Mönche des Vânatŏr habe eine der Unsrigen vernichtet. Sie haben uns gefunden und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie zum Schlag ausholen werden. Ihr wisst, es
Weitere Kostenlose Bücher